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Spartenreichtum Blasorchester – Fluch oder Segen? – Teil 2

Im zweiten Teil der Round-Up-Aktion zum Thema “Spartenreichtumg Blasorchester – Fluch oder Segen?” möchte ich dem Beitrag von Norman Grüneberg (alleinigen) Raum geben. Großartig auf den Punkt. Aber lest selbst:

Was wollen wir spielen? Oder: Muss sich die Blasmusik vor jeden Karren spannen lassen?

Unfertiger, weil wahrscheinlich steckenbleibender, Versuch einer Definition der guten Musik.

Norman Grüneberg ©Ludwig Angehöfer
Norman Grüneberg
(©Ludwig Angehöfer)

Totalitäre Ideologien führen – universalgeschichtlich betrachtet – stets ins Verderben. Nicht selten vollführen sie ihren Tanz in den Untergang unter dem fröhlichen Spiel von Schalmeien und Fanfaren, Blaskapellen und Marschmusik…

Nun, da die Aufmerksamkeit des geneigten Lesers gesichert scheint (haben wir doch Reizworte des gesellschaftlichen Diskurses in Verbindung mit unserer heiligen Blasmusik gebracht), können wir uns dem Wesentlichen zuwenden: Sollen wir, weil wir können? Müssen wir, weil wir dürfen?

Ein oft gelobtes Wesensmerkmal der Blasmusik in ihren vielfältigen Besetzungsformen ist die Stilvielfalt, die fälschlicherweise genau so oft auch aus Unkenntnis der Genese der einzelnen Besetzungsformen schamlos der Blasmusik zugerechnet werden. Da ist die Rede von der Bigband, nur weil da ein paar Bläser mitspielen. Oder gar vom Funk, Ska und anderen Formen der Popular- und Jazzmusik. Dann werden munter die historisch gewachsenen Kammermusikbesetzungen vom Trio d’anches bis zum Posaunenchor der Blasmusik zugerechnet. Streng genommen gibt es aber nur die Stadtpfeiffereien, die Harmoniemusik und die französische Revolutionsmusik, die als direkte Grundlage heutiger Blasmusik gelten können. Den Spartenreichtum volkstümlicher und folkloristischer Blasmusikbesetzungen originär der Blasmusik in diesem engeren Sinn zuzuordnen, ist vor allem Ausdruck einer unvorsichtigen Verwendung der Nomenklatur. Der im Deutschen verwendbare Begriff der Bläsermusik ist da vielseitiger, steht aber hier nur randständig zur Debatte.

Nachdem nun möglicherweise einige begriffliche Verwirrung entstanden ist, wollen wir diese Verwirrung zur Neugier umkehren und als Motivation nutzen, weiterzudenken – und zu lesen…

Im Prinzip kann Blasmusik ja scheinbar alles.

Ein Professor der Mediävistik, bei dem ich das Glück hatte, studieren zu dürfen, forderte uns Studenten bei der unsauberen Verwendung der “Im Prinzip”-Worthülse stets dazu auf, das Prinzip zu benennen, nachdem wir angeblich unsere Meinung gebildet hätten.
Wenn wir nun also das Prinzip suchen wollen, nachdem Blasmusik alles kann, werden wir nicht richtig fündig. Oder zu fündig – was darf es denn sein: ein musikästhetischer Ansatz, eine historische Dimension, ein formenkundlicher Exkurs…?

Natürlich müssen wir alle diese Betrachtungen nicht anstellen. Wir können auch pragmatisch denken – dann bestimmt der Vereinskassenstatus, was gespielt wird, vulgo: der Veranstalter. Oder wir denken rein musikästhetisch – dann definiert der hochgebildete und auf zahlreichen Verbandsschulungen gestählte Blasorchesterdirigent, was (und wie) gespielt wird, vulgo: die Repertoireliste. Oder wir denken (musik)pädagogisch – dann ergibt die Gewinnung von Nachwuchs (meistens für den Musikverein), was gespielt wird: vulgo (viel zu oft): die Popularmusik.

Es muss uns bewusst sein, dass wir uns mit der oben begonnenen Argumentation gefährlich nahe an der überwunden geglaubten Adorno-Debatte bewegen. Wenn wir dieses Risiko schon eingehen, sollten wir uns aber auch die grundlegende Ursache der Ausführungen des seligen Theodors in Erinnerung rufen. “Einfach” ausgedrückt: die prophetisch und sensibel erst wahrgenommene (1932, Zur gesellschaftlichen Lage der Musik) und dann rückblickend aber auch vorwärts weisend analysierte (1955, Kulturkritik und Gesellschaft) Gefahr der Barbarisierung durch sinnentleerte Musikdarbietung und (sic!) -rezeption.

Adorno ist genug Kritik ausgesetzt gewesen, nicht zuletzt für seine Abwertung des Jazz – was hätte er zum heutigen Schlager (und den entsprechenden Blasmusik-Arrangements) wohl zu sagen gehabt?

Adorno ist auch im Sinne einer postmodernen Kulturkritik weitgehend überwunden. Trotzdem sollte er als Mahner in tätiger Erinnerung bleiben.

Tätig sein – das führt uns zurück zur Ausgangsfrage: was wollen wir spielen?

Vor den Anforderungen eines “modernen” Eventmanagements resignierend müsste man formulieren: Alles, was ankommt. ‘Ankommen’ ist dabei vor allem ökonomisch (auch zeitökonomisch) zu verstehen.

Machen wir dazu ein Gedankenexperiment:

(1) Eine Konzertmuschel, ein Musikpavillon, wie sie in der gesamten Republik in vielgestaltiger Form in Parks herumstehen, zumeist mit angeschlossener Wirtschaft, mehr oder weniger gepflegt. Es spielt wahlweise ein Jazztrio (Irgendwer feat. “Stargast”), eine Musikkapelle (“Die fidelen Krachmeier”), eine Ska-Band mit gelegentlichen Ausflügen ins Funkig-Rockige (“Be Kool Project”) oder ein Schlagerduo (“Jana und Klaus”).

Stellen wir uns nun die Motivation des Publikums vor, einen sommerlichen Nachmittag freizeitoptimiert und vergnügungssuchend zu verbringen. Welche Rolle spielt wohl die Musik dabei?

(2) Dasselbe Setting – nun aus der Perspektive der Darbietenden.

Stellen wir uns die Motivation der Künstler vor, einen sommerlichen Nachmittag musizierend zu verbringen. Die Frage bleibt: welche Rolle spielt wohl die Musik dabei?

Aus dem “Was wollen wir spielen” wird in den allermeisten Fällen ein “Was müssen wir spielen?” mit den verschiedensten Auswirkung einerseits auf die Psyche der Darbietenden (und der Rezipienten), andererseits auf die Qualität des Dargebotenen (und die Qualität der Hörer, um ein letztes Mal Adorno zu bemühen…).

Sind wir jetzt des Denkens und Vorstellens müde geworden? So geht es wahrscheinlich auch dem idealen Hörer, der ja dennoch (oder Gott sei Dank?!) auch ein fühlendes menschliches Wesen ist. Wahrscheinlich ist es ihm manchmal einfach egal, was gespielt wird, weil die Musik Hintergrundgeräusch anderweitiger Aktionen ist. Dabei bleibt allerdings unbeachtet, dass auch das musizierende Gegenüber ein fühlendes menschliches Wesen ist. Huldigendes oder mitleidiges Applaudieren?

Alle diese Denkversuche berühren den Musikraum außerhalb des rituellen Konzertrahmens. Und doch lassen sie sich wahrscheinlich (gerade?!) in der Blasmusik auch auf diesen anwenden. Wir müssen nur das Setting leicht verändern und – schwupps – sind wir im Konzertsaal. Wahlweise bestuhlt und thematisch-dramaturgisch bis zum letzten Lichteffekt durchgestylt oder auch mit Tischreihen und Trockenblumen (manchmal auch frisch oder ohne) bestückt – dazu mehr oder weniger geräuscharme Bewirtung. Jahreskonzert oder so…, egal – der Junge spielt mit…

Und jetzt der gedankliche Bruch –
Und zwar nicht hin zur Aufführung der MFE-Gruppe* oder der Tanzgruppe des Karnevalsvereins, sondern zur Sinfonik. Auch hier allerorten Eventmanier, dramaturgische Optimierung und Wohlfühlatmosphäre. Wo ist der musik(!)hörende und -genießende Besucher geblieben? Hat er je existiert?

Was wollen wir spielen? Falsche Frage. Besser: Warum wollen wir spielen?

Oder doch ganz anders?

Norman Grüneberg,
Auf der Terrasse. Unterm Wein. Kerzenschein.

*MFE = Musikalische Früherziehung

Alexandra Link

Musik ist ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens. Musizierende Menschen zusammen zu bringen meine Leidenschaft.

    3 thoughts on “Spartenreichtum Blasorchester – Fluch oder Segen? – Teil 2

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