Über die richtige Balance im Musikverein
Vereinsmanager zu sein, bedeutet heutzutage manchmal auch Psychologe zu sein. Da unsere Musikvereins-Gemeinschaften aus Individuen mit jeweils eigenen Charakteren, Ansichten, Lebenseinstellungen, Gewohnheiten und Erfahrungen bestehen, braucht es manchmal Menschen, die vermitteln, ausgleichen, befrieden und vor allen Dingen gut kommunizieren, führen und anleiten können. Ich weiß nicht, ob „Diplomat“ das richtige Wort ist. Vielleicht. Oder „Charismatiker“, also ein Mensch der sich durch ein großes Charisma auszeichnet.
Harmonie in Musik und Gemeinschaft
Harmonie in Musik und Gemeinschaft bedingt sich nicht unweigerlich gegenseitig. Ich habe ja mal die Behauptung aufgestellt, wenn es in der Musik funktioniert, hat der Verein bzw. das Blasorchester auch automatisch eine gute Kameradschaft. Diese starre Ansicht muss ich wohl etwas korrigieren. Es hängt ja immer vor allen Dingen von den Mitgliedern hab, wie sie sich in der außermusikalischen Zeit begegnen. Wie viel Interesse überhaupt besteht, nach der Probe noch ein Bier zusammen zu trinken oder nach dem Konzert ausgiebig zu feiern. Obwohl erfolgreiche Konzerte mit jeder Menge Anerkennung durch das Publikum schon irgendwie zusammenschweißen und positive Gefühle der MusikerInnen den Wunsch nach dem gemeinsamen Feiern doch irgendwie beflügeln.
Ich habe darüber nachgedacht, in welchen Bereichen des Musikvereins- und Blasorchesterlebens es wichtig ist, den nötigen Ausgleich zu schaffen, die Gemeinschaft in Balance zu bringen.
Leistungsvermögen
Es gibt in jedem Musikverein bzw. Blasorchester MusikerInnen die sich leichter mit ihrem Instrument tun als andere. Nicht alle MusikerInnen haben die gleiche Ausbildung genossen. Der eine übt mehr als der andere. Der eine hat scheinbar mehr Talent als der andere. Was für die einen ein leichtes Stück ist, daran knabbert manch anderer Musiker. Wie können wir das ausgleichen? Diese Tatsachen machen die Repertoire-Auswahl durch den Dirigenten auch schwierig. Die richtige Balance zwischen unterfordern, fordern und überfordern ist nicht leicht zu finden.
Da wir wissen, dass wir Blasmusiker am liebsten in der Gemeinschaft musizieren (stelle ich bei jedem Workshop „Zukunft der Musikvereine“ fest), liegt die Antwort quasi schon auf der Hand: Wir können in den Registern untereinander lernen und üben. Es müssen nicht immer Registerproben sein, die vom Dirigenten geleitet werden. Die Register können sich ja zum gemeinsamen Üben treffen. Je nachdem kann es klug sein, einen externen Instrumentallehrer hinzuzuziehen, der mit den Registern probt, bzw. in kleinen Gruppen Unterricht erteilt.
Leider ist es weit verbreitet, dass Dirigenten viel zu schwere Stücke für ihre Vereine aussuchen. Dies kann ich ganz oft auch bei Wettbewerben und Wertungsspielen feststellen. Die Dirigenten verpacken das dann immer mit dem Argument, dass sie ihre MusikerInnen fordern und an ihre Grenzen bringen möchten. Ob das immer so klug ist? Ist es nicht besser, machbare Stücke zu wählen und diese bis ins kleinste Detail zu perfektionieren?
Manchmal hat es den Anschein, es ist vor allen Dingen der Wunsch des Dirigenten, mal dieses oder jenes Werk gespielt zu haben um es auf seiner Website in der Repertoireliste führen zu können.
Der blasmusikalisch unerfahrene Zuhörer erkennt nicht, ob ein Werk wirklich wie vom Komponisten gedacht aufgeführt wurde. Oder sagen hinterher vielleicht „Mensch, da habt Ihr ja ein schwieriges Werk gespielt“ oder „Das Werk XY war aber anspruchsvoll“. Ich als Zuhörer leide. Ich leide noch mehr, wenn ich selbst auf der Bühne sitze, also mitspiele und genau weiß, dass manche MusikerInnen dieses Werk ganz einfach nicht packen. Und technisch ein Werk spielen zu können heißt noch lange nicht, dass es gut gespielt ist. Ist mir mal mit den Armenischen Tänzen passiert. Der Dirigent war absolut der Meinung, dass das Orchester das Werk spielen kann…. Und ein weiteres mal, einige Zeit später, mit Libertadores bei einem Verein, in dem ich aushilfsweise Piccolo gespielt habe. Das Beste ist dann immer noch, wenn der Dirigent sich in jeder Probe ausführlich darüber ärgert und beklagt, dass die Leute nicht üben…
Anspruch versus Spaß
Ich habe es selbst schon in einem Musikverein erlebt, dass es große Unterschiede gibt innerhalb der Gemeinschaft was Anspruch und Spaß betrifft.
Wenn MusikerInnen, die anspruchsvolle Werke und tolle Konzerte spielen wollen etwa die Hälfte aller ausmachen und die andere Hälfte vor allen Dingen Spaß in der Probe haben und feiern möchte („Blasmusik ist schließlich nur mein Hobby!“, „Es muss nicht jeder Verein in die Höchststufe wollen!“) hat man schon ein großes Problem.
Bei meinem Beispiel habe ich festgestellt, dass eigentlich die Zielsetzung und Ausrichtung des Vereins nicht ganz klar war. Sich über die Ziele des Vereins zu einigen und eine Mission dahin zu definieren kann auch Unzufriedenheit innerhalb des Vereins vorbeugen. Ein jährlicher oder zweijährlicher Klausurtag ist dafür prima geeignet.
Vor langer Zeit hat mir der ehemalige Dirigent des Blasorchesters aus Havixbeck, Christian Topp (leider schon verstorben, aber sicher nicht vergessen) einmal erzählt, dass es bei ihnen im Verein ein Freizeitorchester gibt. Das Blasorchester Havixbeck hat sich vor allem der Gestaltung von Sinfonischen Blasorchesterkonzerten gewidmet und probt mittwochs. Das Freizeitorchester mit allen, die Lust dazu haben, der traditionellen und unterhaltsamen Blasmusik zu frönen, probt freitags. Wer keine Sinfonische Blasmusik mag, spielt im Freizeitorchester. Wenn ein Havixbecker hier mitliest kann er uns gerne mitteilen, ob das noch immer so gehandhabt wird.
Bei einem Klausurtag können als Ergebnis auch Kompromisse herauskommen. Beispielsweise dass das Frühjahrskonzert der Auftakt zum Sommerprogramm ist und dementsprechend mit traditioneller und unterhaltender Blasmusik gestaltet wird. Und das Spätjahrkonzert als sinfonisches Konzert oder vielleicht auch als Kirchenkonzert.
Motivation
Die einen sind in jeder Probe anwesend, andere fehlen öfters mal. Die meisten sind pünktlich, andere haben es nicht so mit der Pünktlichkeit. Den einen geht der Musikverein über alles und organisieren ihr sonstiges Leben so, dass sie gar nichts im Verein verpassen, andere setzen ihre Prioritäten anders oder sind dazu gezwungen ihre Prioritäten anders zu setzen. Die einen tragen sich alle Termine des Musikvereins rechtzeitig in den Kalender ein und alle anderen Termine, die hinzukommen haben das Nachsehen. Andere warten erst mal ab, ob nicht noch etwas Besseres kommt. Die persönliche Motivation hängt zunehmend mit der Lebenseinstellung und dem größer werdenden Ich-Bewusstsein unserer Gesellschaft zusammen. Vielleicht ist „für die Gemeinschaft da zu sein“ heutzutage weniger wichtig geworden als früher. Selbstverwirklichung und – ja ich schreibe es jetzt doch – Egoismus, sind den Menschen vielleicht wichtiger geworden.
Eine Motivation „von außen“ scheint schwierig zu sein. Nur Motivation, die von innen kommt, hilft der Gemeinschaft. Wie bekommen wir das bei allen unseren MusikerInnen hin? Nun, hoffen wir mal, dass unsere eigene Begeisterung für den Verein die anderen automatisch ansteckt. Geben wir alle unser bestes, attraktive Konzerte zu veranstalten und uns tolle Programme auszudenken. Immer positiv bleiben und unsere Freude über den Verein ausstrahlen. Für gute Stimmung sorgen.
Eins ist sicher. Einer allein schafft das nicht. Da müssen viele mitziehen. Andere zu motivieren ist keine Aufgabe. Andere mit der eigenen Begeisterung anzustecken ist auch keine Aufgabe. Und beides sind schon gar keine alleinigen Aufgaben von entweder dem Dirigenten und/oder dem Vorstand. Nur wenn viele voller Motivation und Begeisterung von sich aus sind, können andere angesteckt werden.
Und die „Zu-spät-Kommer“? Und die „Ich-komme-wann-ich-will-Kommer“? Tja, ehrlich gesagt, ich würde auch gerne auf diese Leute verzichten. Geht aber nicht. Nun, versuchen wir es zuerst einmal mit Kommunikation. „Reden hilft“, daran will ich jetzt einfach mal glauben. Und ganz zur Not muss man auf manche Vereinsmitglieder einfach doch mal verzichten. Vor allem dann, wenn sie der Gemeinschaft und der Harmonie schaden.
Besetzung
Eine ausgewogene Besetzung zu haben steht auf der Wunschliste vieler Vereine ganz oben. Was ist eine „ausgewogene Besetzung“? Die ausgewogene Besetzung hat nicht unbedingt nur mit der Anzahl der Instrumentalisten in den einzelnen Registern zu tun, sondern eher mit deren Verhältnis zu anderen Registern. Eine ausgewogene Besetzung innerhalb eines Blasorchesters hinzubekommen ist nicht einfach. Viele schwören darauf, schon bei der Nachwuchsarbeit darauf hinzuwirken, dass in jedem Register gleichmäßig/verhältnismäßig junge MusikerInnen nachkommen.
Ich denke, es passiert so viel, bis ein 8-jähriger, der beginnt ein Instrument zu lernen, im großen Blasorchester mit schließlich 14, 15 oder 16 Jahren ankommt. Bei Kindern ist es zunächst einmal wichtig, sie zum Musizieren zu bringen.
Schaden kann es jedoch nie, die vermeintlich „unattraktiveren“ Instrumente wie Tenorhorn und Tuba in ein besonders helles Licht zu rücken oder extreme Bemühungen angestellt werden, so viele KlarinettistInnen wie möglich an den Start zu bekommen.
Orchester mit großer Besetzung, wo auch Tuben, Oboen, Schlagzeuger, Hörner in ausreichendem Maße vorhanden sind und die Stimmen der anderen Register auch mehrfach besetzt sind, haben es einfacher, Termine wahrzunehmen. Hat ein Orchester beispielsweise nur eine Tuba, so fällt der Auftritt flach, wenn der nicht kann. Es sei denn, man kann auf einen Pool von Aushilfsmusiker zurückgreifen. Aber will man das immer?
Bei einem kleineren Orchester kommt es in viel größerem Maße darauf an, dass immer jeder da ist. Allerdings ist es in einem großen Orchester mit ausreichend Instrumentalisten auch frustrierend, wenn beispielsweise von 60 oder 80 Leuten 10 oder 20 MusikerInnen fehlen. Es geht da ja um den geübten Klangausgleich und eventuell auch um gewisse Soli. Probenarbeit ist mühsam und ätzend, wenn in jeder Probe schon mal geprobtes wiederholt werden muss, nur weil eine andere Mannschaft im Probensaal sitzt.
Besser ist, jeder ist immer da. Sowohl in der Probe als auch an allen Arten von Konzerten und Auftritten. Aber das ist wohl in jedem Verein ein Wunschdenken, egal ob klein oder groß.
Ich wünsche mir Vereine mit lauter verantwortungsvollen, zuverlässigen MusikerInnen, die genau wissen, dass es auf jeden einzelnen ankommt und die nicht fahrlässig mit den Terminen umgehen. Die „Restlichen“ müssen es ja ausbaden, nicht der, der nicht da ist…
Alt und Jung
Ist es wichtig für das Sozialgefüge innerhalb eines Musikvereins, Menschen jeden Alters als aktive Mitglieder zu haben? Vor kurzem haben wir darüber einmal im Workshop diskutiert. Das Problem eines Vereins war, dass viele Jugendliche und viele Ältere ab 50 Jahren musizieren, das Mittelfeld, also Menschen im Alter von 30 – 50 Jahren eher Mangelware sind. Die Vereinsverantwortliche sah es als besondere Herausforderung an, mit dieser Altersstruktur eine homogene Gemeinschaft hinzubekommen.
Als erstes möchte ich einmal ganz klar stellen, dass es nirgends so einfach ist, Alt und Jung unter einen Hut zu bekommen, wie beim Musizieren. Oder wie es mein Freund Achim (so ca. 50+ Jahre alt) mal gesagt hat: „Es freut mich, dass ich mit der 17-jährigen Marlene im Orchester zusammen spielen darf, auf dem Fußballplatz ginge das nicht.“
Mein Sohn (fast 15 Jahre alt) hat es in seinem Beitrag Was mir am Musikverein Spaß macht so geschrieben: „Ich finde es auch toll, dass Musik so jung hält. Wir haben Musiker, die sind 75-80 Jahre alt und spielen immer noch wie in ihren besten Jahren. Natürlich ist es verständlich, dass bei manchen auch irgendwann die Lippen-Spannung nachlässt und man statt Staccato eher ein schönes Vibrato spielt. Aber sie lieben die Musik immer noch, als wären sie gerade erst dazu gekommen. Und das macht auch einen guten Zusammenhalt aus, meiner Meinung nach, wenn Junge mit Alten spielen. Außerdem kann man vieles lernen. Zum Beispiel profitieren die Jungen von der jahrelangen Erfahrung der Älteren und die Älteren lernen wie die neueste Elektronik funktioniert.“
Kurzum, musizieren ist generationenverbindend.
Wenn nun nur „Junge“ und nur „Alte“ spielen, das „Mittelalter“ fehlt, gibt es dann eher Konflikte? Muß nicht. Kann. Es kommt auf den Charakter der Menschen an. Nicht auf das Alter.
Aber vielleicht sollte der Verein sich einmal Gedanken machen, wie die Lücken gefüllt werden können. Beispielsweise durch Rekrutierung von ehemaligen Spielern, neu in die Gemeinde gezogene oder Blasmusiker, die in einem anderen Verein wegen Unzufriedenheit aufgehört haben. Möglichkeiten, neue „fertige“ MusikerInnen im Mittelalter zu bekommen, gibt es viele. Manchmal gleicht es jedoch einer Sisyphos-Arbeit, diese zu motivieren zu kommen bzw. wieder zu kommen.
Manche mögen es nicht, für den Verein gleich „verhaftet“ zu werden. Ein Bedürfnis der Unverbindlichkeit greift um sich. Eine gute Idee finde ich, wenn extra Projekte für „Ehemalige“ organisiert werden. Ein bisschen Unterstützung bei der Beschaffung eines Instruments und eventuell bei einigen Unterrichts-Stunden hilft.
Wichtig finde ich es auch, wenn zu den „Jungen“, die studieren gehen, die Verbindung aufrecht erhalten bleibt. Dass diese in den Proben willkommen sind, wenn sie wieder einmal in der Heimat sind. Dass die Kommunikation mit ihnen auch nicht abbricht. Dass sie nicht schräg angeschaut werden, wenn sie nur 3 Proben vor dem Konzert zum Orchester hinzu stoßen.
Übrigens gilt die Aussage nicht „Alte wollen nur Polka. Junge wollen nur Pop.“ Schließlich gehört die Generation „Rolling Stones“ mittlerweile zu den „Alten“ und manche Junge fahren ganz und gar auf Polka ab.
Mann und Frau
Es gibt Musikvereine bzw. Blasorchester, in denen es noch bis vor 10, 20 Jahren unüblich war, dass Frauen mitspielen. Die Zeiten sind Gott sei Dank vorbei… Doch halt, da habe ich von einem Seniorenorchester in meiner Heimat gehört, da wollten die Männer „unter sich“ bleiben. Eine Klarinettistin, knapp 60 Jahre alt, hat bei ihnen angefragt, ob sie mitspielen dürfe und hat genau diese Antwort erhalten. Sie spielt jetzt im Seniorenorchester des Nachbar-Verbands mit. Doof, ne?
Mir ist dieses ganze Gender-Gedöns vollkommen unwichtig. Ich versuche nur, die weibliche Form immer zu berücksichtigen, weil ich schon zwei Mal genau deswegen Rüffel in Facebook bekommen habe. („Und was ist mit den Dirigentinnen?“) Immer gelingt mir das nicht. Und das ist gut so. Deshalb ist es mir auch völlig egal, wie hoch der Anteil an Frauen im Orchester ist.
Dass es so wenige Dirigentinnen gibt liegt eher daran, dass nicht gleich viele Frauen wie Männer Interesse daran haben zu dirigieren oder gar Dirigieren zu studieren. Von einer Frauenquote halte ich gar nichts. Es kommt nur auf die Qualifikation an. Meine Meinung. Ihr dürft gerne anderer Meinung sein.
Wie komme ich nun aber darauf, dass es eine Balance zwischen Mann und Frau im Musikverein braucht? Auch dieses Thema haben wir in einem Zukunfts-Workshop diskutiert. Es kommt auf die jeweiligen Fähigkeiten und Charaktere an. Frauen empfinden anders, als Männer und nehmen eventuell Schwingungen war, die ein Mann nicht so schnell bemerkt. Ausnahmen bestätigen die Regel. Und hat nicht so ziemlich jeder Musikverein mittlerweile eine Art „Mama“, die sich um alle liebevoll kümmert? Im Musikverein meiner Heimatgemeinde gibt es die…
Stilrichtungen
Weit schwieriger als die Balance zwischen Mann und Frau im Orchester hinzubekommen ist, die verschiedenen Vorlieben der MusikerInnen in puncto Literaturauswahl ins Gleichgewicht zu bekommen.
Ja, und leider ist da auch wieder der Dirigent als Führungspersönlichkeit gefragt. Nennt mich altmodisch oder undemokratisch, aber die musikalische Ausrichtung des Vereins ist Sache des Dirigenten. Da der Verein den Dirigenten gewählt hat, ist davon auszugehen, dass der Verein auch mit dessen Vorstellung von Repertoire und Konzertgestaltung einverstanden ist.
Auf hoher See hört die Mannschaft auch auf das, was der Kapitän sagt. Der Kapitän fragt nicht die Mannschaft: „Wo sollen wir hinfahren und wie kommen wir dahin?“
Der Dirigent ist in der Regel derjenige, der das größte Repertoire-Wissen hat. Das ist sein Job. Dafür wird er auch bezahlt.
Es gibt nur wenige MusikerInnen, die sich über die Neuerscheinungen informieren und gleichzeitig die Back-Kataloge der Verlage im Kopf haben. Oder die über eine umfangreiche CD-Sammlung verfügen (oh, wie altmodisch).
Außerdem ist der Dirigent derjenige, der als einziger einschätzen kann, welche Stücke bzw. Werke für sein Orchester machbar sind. Das hat er gelernt (oder sollte er gelernt haben – siehe oben den Abschnitt über Überforderung.).
Wenn ein Dirigent seine MusikerInnen fragt: „Was wollt Ihr spielen“, kann als Antwort immer nur kommen, was im Erfahrungsbereich des jeweiligen Musikers liegt. Hört dieser nur Popsongs ist die Antwort klar. Ist dieser ein Fan von klassischer Musik und hört nichts anderes, kennen wir die Antwort. Mitbestimmung beim Repertoire kann schnell in „Fruchtsalat-Konzerten“ münden. Ein in sich stimmiges Programm kann dabei kaum herauskommen. Vielleicht gelten für das Sommerprogramm andere Gesetze.
Ein guter Dirigent hat eine musikalische Marschrichtung im Kopf. Er hat mittel- und langfristige Ziele. Gestaltet die Konzertprogramme abwechslungsreich, obwohl oder gerade weil es einen roten Faden gibt.
Ein Musikverein, in dem 80% am liebsten Polka, Walzer, Marsch spielen wird wohl kaum einen Dirigenten einstellen, der eine sinfonische, konzertante Richtung anstrebt. Selbst wenn es 20% der MusikerInnen wünschen. Das macht einfach keinen Sinn. Dieser Verein ist am besten beraten, wenn er genau das tut, was die meisten MusikerInnen am liebsten spielen: sich auf Polka, Walzer, Marsch spezialisieren und sich einen dementsprechenden musikalischen Leiter suchen, der auch genau das gut kann.
In der überwiegenden Anzahl an Musikvereinen wird eine ausgewogene Vielfalt angestrebt. Das Musikvereinsleben besteht ja nicht nur aus Jahreskonzerten. Und es wäre ja auch gut, wenn die Noten für ein Werk nicht nur für eine einzige Aufführung gekauft werden.
Es kann nicht jedes Stück immer jedem „gefallen“. Deshalb bringt es auch nichts, über die Repertoireauswahl des Dirigenten zu diskutieren und diese ständig in Frage zu stellen. Aber in Toleranz und Akzeptanz sind wir BlasmusikerInnen ja geübt. Einzelne „Motzelbären“, von denen ständig ein „Mimimi“ kommt, gibt es überall. Lassen wir die wegen der Harmonie im Verein nicht all zu laut werden. Anstecken wollen wir uns an denen auch nicht.
Schlimmer, als wenn der Dirigent seinen Weg geht, ist, wenn dieser keinen Weg vorgibt. Und wenn dieser „demokratisch“ handeln möchte, dann gibt es ja immer noch die Variante, dass er verschiedene Konzepte mit unterschiedlichen Werken vorlegt, Hörbeispiele dazu zur Verfügung stellt (beispielsweise per Youtube-Liste) und dann zwischen den Konzertkonzepten abstimmen lässt. Oder wenn er eine Liste mit möglichen, machbaren Stücken für das Sommerprogramm vorlegt, aus denen die MusikerInnen dann wählen können. Die Listen enthalten dann stimmige Werke für das jeweilige Programm, die vom Orchester auch bewältigt werden können.
Wie gelingt die Balance in Eurem Musikverein? Ist eine ausgeglichene Balance überhaupt wichtig? Die Diskussion ist eröffent!
Ein Punkt fehlt oben noch, und zwar die Art der Arragements. Das ist bei uns gerade ein Thema. Ich bin der Meinung, dass bei gleich guten Leuten in den einzelnen Registern diese auch gleichmäßig abwechselnd mal die Führungsrolle übernehmen sollen. Es darf nicht nur Holz ( Klarinette) spielen und Blech nur mal doppeln oder Rhythmusgruppe machen dürfen.
Hallo Frauke, danke für Deine Ergänzung! Viele Grüße Alexandra
Da kann ich nur jeden Satz unterschreiben – besser kann man es nicht formulieren.
Danke, Michael!
Bravo! Ein ganz toller Bericht, der mir zu 100% aus der Seele spricht!!!
Vielleicht werde ich ihn bei nächster Gelegenheit unserem Verein vortragen.
Danke liebe Ines! Viele Grüße Alexandra
Ich war gerade damit beschäftigt, meine Rede für die Jahreshauptversammlung zu schreiben. Dann bin ich auf deinen Artikel gestoßen. Der spricht mir aus der Seele. Ich würde ihn gerne bei der JHV vortragen.
Liebe Grüße Gerd
Ja, gerne, Gerd! Wenn Du noch ein wenig Werbung für den Blasmusikblog.com machst, wäre das großartig… Gruß Alexandra
Bin auch Dirigent
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