Transkriptionen versus Originalkompositionen

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Nichts wird in puncto Blasorchesterliteratur mehr diskutiert als das Thema “Transkriptionen versus Originalkompositionen”. Transkriptionen oder Bearbeitungen sind legitim und gehören zu unserem Repertoire, ohne Frage! Es geht im Prinzip immer um das Verhältnis innerhalb des Konzertprogramms. Meine Meinung zum Thema habe ich schon öfter dazu geäußert. Meine Vorliebe geht ganz klar in Richtung Originalkompositionen für Blasorchester. Aber um meine Meinung geht es in diesem Beitrag überhaupt nicht. Ich habe 6 Dirigenten gebeten, ihre Meinung zu diesem Thema zu äußern. Herzlichen Dank an Christian Steinlein, Lukas Hoffmann, Dominik Wagner, Norman Grüneberg, Mathias Wehr und Dominik M. Koch für ihre Beiträge und die Nennung ihrer Favoriten.

Christian Steinlein

Christian Steinlein
Christian Steinlein

“Zunächst bin ich der Meinung, dass es inzwischen wirklich viele tolle Originalkompositionen, sowohl im E- als auch im U-Musikbereich, für Blasorchester gibt. Da lohnt es schon, sich damit intensiv zu beschäftigen.
Jetzt gehören aber Transkriptionen klassischer Werke nun mal traditionell zu unserem Repertoire dazu, und das schon seit einer Zeit, zu der originale Werke alles andere als üblich waren. Dass es aus dieser Tradition des “Klauens” heraus irgendwann gebräuchlich wurde, auch Filmmusik- und Musicaladaptionen, sowie Arrangements aus den Bereichen Rock, Pop, Jazz zu spielen, halte ich für logisch und nachvollziehbar. Deshalb würde ich Transkriptionen und Bearbeitungen auch nicht prinzipiell verteufeln.
Wenn man sie spielt, sollten sie aber einige Kriterien erfüllen. Nicht jeder Popsong (Textbezogenheit) oder jedes klassische Werk (Besonderheiten in der Instrumentation) eignet sich für das Blasorchester.
Es gibt immer eine Intention des Komponisten und eine beabsichtigte musikalische Wirkung. Damit muss ich mich als Dirigent auseinandersetzen. Unverzichtbar hier: Studium der Originalvorlage. Die entscheidenden Fragen lauten: Wird diese Intention in der Bearbeitung nach wie vor erfüllt? Und wenn ja, geschieht das mit akzeptablen und umsetzbaren Mitteln? Diese Fragen sollten mit ja beantwortet werden können.
Hinzukommt, dass die Instrumentation oder das Arrangement zu den Gegebenheiten meines Orchesters (Besetzung, zur Verfügung stehende Probezeit, etc.) und den betreffenden Anlasse (Jahreskonzert, Sommerserenade, feierliche Umrahmung, etc.) passen sollte. D.h.: Nicht jedes Arrangement ist gleichermaßen für jedes Blasorchester und für jeden beliebigen Anlass geeignet.
Wenn durch die Instrumentation oder das Arrangement die Intention und die musikalische Wirkung eines Werkes gewährleistet bleiben und wenn es den Bedürfnissen meines Orchesters und dem Anlass gerecht wird, spricht sicherlich nichts gegen die Aufnahme ins Repertoire.”

Festive Overture, opus 96 – Dimitri Shostakovich / Donald Hunsberger
Sinfonischen Tänze – Leonard Bernstein / Paul Lavender

Lukas Hofmann

Lukas Hofmann
Lukas Hofmann

“Früher hätte ich sofort gesagt: „Ich mag Transkriptionen oder Bearbeitungen nicht, ich spiele nur Originalliteratur!“ Je länger ich mich aber mit Blasmusik beschäftige, desto mehr reizen mich gute Transkriptionen und Bearbeitungen, denn böse gesagt: „Die meisten Originalkompositionen klingen alle gleich.“
Am liebsten mache ich die Transkriptionen selbst, denn dann beschäftige ich mich auch gleich mit dem Original. Und ich versuche da dann das ganze verfügbare Instrumentalspektrum inkl. „Exoten“ wie z.B. Kontrabassklarinette, Kontrafagott, Marimba, etc. einzubauen. Bei der Auswahl der Transkriptionen geht es mir besonders darum zu schauen, ob sich das Werk für die Umsetzung mit Blasorchester eignet. Sind z.B. schon viele Bläser im Original besetzt oder geht es eher um den typischen Klang der Streicher? Je nach Musik-Epoche setze ich auch die Instrumente unterschiedlich ein, z.B. ein Werk der Klassik spielen dann auch nur die Holzbläser mit Hörnern und Kontrabass.
Natürlich kann man nicht jedes Stück selber machen. Ich spiele dann gerne Transkriptionen von Franco Cesarini. Er ist ein wahrer Fachmann für Transkriptionen und lässt seine jahrelange Erfahrung in seine Arbeit einfließen. Auch die Transkriptionen von Albert Schwarzmann, einem ehemaligen Lehrer und Freund von mir, spiele ich gerne – hier v.a. die Bearbeitungen der Wiener Musik der Strauss-Dynastie. Auch Alfred Reed hat einige Transkriptionen gemacht und nicht zu vergessen der Markt der niederländischen, belgischen und asiatischen Verlage! Da gibt es eine Menge brauchbarer Literatur. Und es gibt mehr als nur Ouvertüren…”

Tiento del primer tono y batalla imperial – Christóbal Halffter / Franco Hänle
Nimrod aus den Enigma Variatonen – Edward Elgar / Alfred Reed
Einzug der Königin von Saba – Georg Friedrich Händel / Siegmund Goldhammer (Spezial-Einrichtung für die Bläserphilharmonie Osttirol)
Marsch der Priester aus der Zauberflöte – Wolfgang Amadeus Mozart / Lukas Hofmann
Pini di Roma – Ottorino Respighi / Yoshihiro Kimura
Jazz Suite Nr. 1 – Dimitri Schostakowitsch / Wesley Brown
Feierlicher Einzug der Ritter des Johanniterordens – Richard Strauss / Lukas Hofmann
Ouvertüre zur Operette „Dichter und Bauer“ – Franz von Suppé / Walter Ratzek
Raymond Overture – Ambroise Thomas / Teruaki Matsushiro

Dominik Wagner

Dominik Wagner
Dominik Wagner

“Ich bin ein großer Freund von Originalliteratur, einfach weil sie auf die technischen Möglichkeiten des Ensembles abgestimmt sind. Es gibt durchaus Situationen in denen ich aber auch Arrangements und Transkriptionen in mein Konzertprogramm einbaue, dann müssen diese aber für mich auch realisierbar sein und in der Bläserbesetzung funktionieren ohne ihre Aussagekraft zu verlieren. Sinfonische Transkriptionen in denen einfach die Geigenstimmen in die Klarinetten rüberkopiert werden empfinde ich eher als schwierig, dazu soll der Orchesterklang auch der eines Blasorchesters bleiben dürfen. Ein Klarinettist hört sicher nicht gern dass er bei diesem Werk wie eine Geige klingen soll. Früher war ja ein Hintergrund des Spielens von Transkriptionen, die großen klassischen Werke wie zum Beispiel aus Opern in die „Provinz“ hinauszutragen um auch den Leuten diese Musik zu hören zu ermöglichen die logistisch keine Möglichkeit haben in den Genuss des Originals zu kommen (so zum Beispiel in Italien). Es gibt auch viele Werke aus anderen Besetzungen die ich gerne aufführe und oft ins Programm passen. Wenn es dann eine gute Bearbeitung gibt (und diese gibt es inzwischen immer öfter) verweigere ich mich sicherlich nicht.”

Danzon Nr. 2 – Arturo Marquez / Oliver Nickel
Masquerade Suite – Katchaturain / Isabelle Claude
Nimrod –  Edward Elgar / Alfred Reed

Norman Grüneberg

Norman Grüneberg ©Ludwig Angehöfer
Norman Grüneberg (©Ludwig Angehöfer)

“Der Fetisch der Originalliteratur ist viel zu lange und wie eine Monstranz durch die Blasorchesterwelt getragen worden. Es gehört ehrlicherweise zu dieser Diskussion, anzuerkennen, dass es natürlich eine erste Liga von Komponisten gibt. Wenn wir unseren Musikerinnen aus den falschen Gründen das Spielen dieser Musik, die nun einmal größtenteils nicht für Blasorchester geschrieben ist, vorenthalten, verwehren wir ihnen einen entscheidenden Teil ästhetischer Geschmacksbildung. Dann von Traditionspflege zu sprechen, ist mindestens verwirrend. Natürlich gibt es, vor allem unabhängig der unseligen Schwierigkeitsgrade viele herausragende Originalwerke für Blasorchester. Es ist jedoch auch nicht von der Hand zu weisen, das eine hohe Anzahl, wohlwollend ausgedrückt, eklektizistisch sind.” 

Danzon Nr. 2 – Arturo Marquez / Oliver Nickel
Passacaglia und Fuge c-Moll – Johann Sebastian Bach /  Douglas McLain
Aladdin Suite – Carl Nielsen / Johan de Meij
Ouvertüre zu „Die verkaufte Braut“ –  Bedrich Smetana / Anton Haeck

Mathias Wehr

Mathias Wehr
Mathias Wehr

“Generell bevorzuge ich ganz klar die Originalliteratur. Wir haben reichlich davon, auch in sehr hoher Qualität. Teilweise so ansprechend, dass Sinfonieorchester sich Blasorchesterwerke transkribieren lassen. Allerdings gibt es viele tolle Werke aus anderen Besetzungsarten, die es sich lohnt zu bearbeiten. Hier muss man als Dirigent aber ganz genau hinsehen, denn in diesem Bereich ist auch viel Mist auf dem Markt.”

Große Suite über Winnetou – Martin Böttcher / Guido Rennert
Rhapsody in Blue – George Gershwin / Donald Hunsberger
Danzon Nr. 2 – Arturo Marquez / Oliver Nickel

Dominik M. Koch

Dominik M. Koch
Dominik M. Koch

“Die Originalliteratur ist für Blasorchester gemacht und daher für die meisten Orchester und Dirigenten besser realisierbar. Die Transkriptionen verlangen sehr viel Disziplin in der Umsetzung und eine sehr intensive Auseinandersetzung des Dirigenten mit dem Original. Sofern die Bearbeitung gut gemacht ist, sollte man sich immer am Original orientieren und mit dem Blasorchester möglichst authentische Klangfarben kreieren. Viele Orchester können Transkriptionen nicht vernünftig umsetzen und sollten es dann lieber sein lassen und auch nicht eine vereinfachte Bearbeitung wählen (mit besser spielbarer Tonart, vereinfachten Rhythmen, einfacheren Klangmischungen usw.). Wenn nicht authentisch in Klang und Spielart, dann lieber auf die machbaren Originalwerke zurückgreifen. Andererseits finde ich es für viele leistungsfähige Blasorchester einen absoluten Gewinn Transkriptionen zu spielen. Die „großen“ Komponisten haben eben leider nicht für Blasorchester original geschrieben. Stimmt die Bearbeitung und das Orchester und Dirigent sind dazu in der Lage, kann auch eine Transkription mit Blasorchester musikalisch sehr wertvoll sein und dem Original sehr nahe kommen. Meist können diese Werke dann auch als Aufhänger genutzt werden, da das Publikum die Stücke besser kennt als die Originalliteratur für Blasorchester.”

Aus der neuen Welt – Antonin Dvorak / José Schyns
Raymond Overture – Ambroise Thomas / Teruaki Matsushiro
Festive Overture – Shostakovich / Donald Hunsberger
Akademische Festouvertüre – Johannes Brahms / Guido Rennert

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    3 thoughts on “Transkriptionen versus Originalkompositionen

    • 10. April 2020 at 11:59
      Permalink

      Originalliteratur zu spielen ist sicherlich äußerst sinnvoll, klingt ein Werk, gespielt durch ein symphonisches Blasorchester doch am Besten.
      Aber zur Zeit Mozarts, Bachs, Händel, Haydens, Wagners und wie sie alle heißen, gab es noch keine Blasorchesterszene. Diese entwickelte sich erst später.
      In einem Beitrag über Wagners Musik habe ich einmal gelesen, dass Wagner sicherlich die meisten seiner Werke für symphonisches Blasorchester geschrieben hätte, hätte er seinerteit darüber schon verfügen können.
      Und wenn wir an Mussorksky denken und an sein Werk “Bilder einer Ausstellung”, dürfen wir nicht veegessen, dass das Original für Klavier geschrieben ist und wir heute fast ausschließlich die Bearbeitung für Orchester zu Ohren bekommen.
      Außerdem war es zu allen Zeiten üblich, Werke, vor allem solistische Werke, umzuschreiben. Und auch heute noch werden klassische, barocke oder andere Werke umgeschrieben und neu interpretiert.
      Und das, denke ich, macht Musik so interessant. Die Mischung aus Werken früherer Tage, die unsere Musik nun einmal mitgeprägt haben und die Werke unserer Zeit.
      Wichtig ist für mich nur, dass der ursprüngliche Charakter des Originals erhalten bleibt, die Transkription also “wertvoll” ist. Und natürlich sollte das Orchester in der Lage sein, das Werk umzusetzen und ordentlich zu spielen. Aber das sollte bei jedem Werk so sein, denn nur schlecht dargebrachte Musik, weil das Orchester überfordert, das Werk schlecht transkribiert oder der Dirigent einfach unwissend war, ist schlechte Musik.

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      • 10. April 2020 at 12:48
        Permalink

        Herzlichen Dank für Deinen Beitrag, Kurt-Jürgen!
        Viele Grüße
        Alexandra

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