Donnerstag, November 21, 2024
OrganisationVereinsmanagementZukunft der Musikvereine

Warum bin ich immer noch dabei?

„Warum bin ich immer noch dabei?“ Wo dabei? Und warum stellt sich mir die Frage überhaupt?

Klar. Es geht um die Blasmusik. Konkreter: Um das Spielen in einem Musikverein, einem Blasorchester. Mein liebstes Hobby. Und Deins? Ich gehe mal schwer davon aus, dass auch Du ein Blasmusiker / eine Blasmusikerin mit Leib und Seele bist. Sonst würdest Du diesen Blogbeitrag nicht lesen.

Grund für diesen Blogbeitrag ist die Befürchtung vieler Vereinsverantwortlicher und DirigentInnen, dass in der momentanen Corona-Krise einige MusikerInnen nicht mehr in die Musikvereine zurückkehren. Dass diese eventuell festgestellt haben, dass es auch ohne Musikverein geht. Vielleicht davor schon „Wackelkandidaten“ waren, von denen man schon wusste, dass sie „auf dem Absprung“ sind. Geäußert haben diese Bedenken viele Vereinsverantwortliche und Dirigenten, mit denen ich in den letzten Wochen und Monaten gesprochen, gechattet, gemailt habe. Die in einem meiner Online-Seminare zu Vereinsthemen waren. Und letztendlich habe ich es nun schwarz auf weiß in den Antworten zu meiner stichprobenartigen Umfrage bei 20 Vereinsverantwortlichen zum Thema „Auswirkungen von Corona auf die Musikvereine“. 10 von den 20 Vereinsverantwortlichen berichten davon, dass es entweder schon Abmeldungen gab oder dass sie befürchten, dass MusikerInnen gar nicht mehr wiederkommen.

Ein kleiner persönlicher Rückblick: Am Mittwoch, den 11. März 2020 hatten wir im Freiburger Blasorchester unsere jährliche Mitgliederversammlung. Wir waren schon mitten in der Corona-Zeit, allerdings hatten wir von den wahren Auswirkungen noch keine Ahnung. Leichte Befürchtungen waren bei manchen schon da, in der nächsten Zeit nicht mehr proben zu können. Aber richtig vorstellen konnte sich das zum damaligen Zeitpunkt noch keiner. Im Flötenregister haben wir noch darüber diskutiert, was es nach der kommenden Probe für die MusikerInnen zu Essen geben soll. Eine tolle Besonderheit im FBO, wir essen nach jeder Probe gemeinsam eine Kleinigkeit (zumindest, die, die wollen) und sitzen noch ein, zwei Stunden zusammen. Wir haben uns ganz umsonst Gedanken gemacht.

Am Freitag, den 13. März 2020 war für uns im Freiburger Blasorchester – wie in den meisten Blasorchestern Deutschlands – klar: Generalpause. Für alle. Keine Kompromisse. Eine lange Generalpause! Es folgte erst einmal Leere. Ein großes Loch. Ratlosigkeit. Ungewissheit. Planungslosigkeit. Planlosigkeit? Wann können wir wieder proben? Und wenn wir demnächst wieder proben können, wann ist der letztmögliche Zeitpunkt, um noch genügend Probenzeit für das Konzert Anfang Mai zu haben? Bald war klar: Im Mai kann es kein Konzert geben.

So oder so ähnlich haben wir es alle erlebt!

Jetzt sind wir im Juli angelangt. Viele Musikvereine können wieder proben. Mit dem nötigen Abstand, unter Einhaltung ellenlanger Hygiene-Vorschriften – es haben sich alle Musikvereine damit auseinandersetzen müssen. Wir in Freiburg hatten bisher noch keine Gesamtprobe. In kleinen Gruppen fängt es ab dieser Woche wieder an. Grund: Die Halle, in der wir proben, wäre zwar geeignet mit ca. 30 MusikerInnen zu proben, aber die Stadt hat die Halle noch nicht frei gegeben. Was in kleineren Ortschaften auf dem „kleinen Dienstweg“ geht, funktioniert in einer Stadt wie Freiburg nicht. Wir bekommen nicht eben mal die größere Sporthalle als Probenraum gestellt. Wir haben auch keinen großen Platz, auf dem wir im Freien proben könnten. Das Schulgelände, auf dem unser Probenlokal steht, liegt im Wohngebiet. Es ist uns in Normalzeiten nicht einmal erlaubt mit offenem Fenster zu proben. Wir kommen mit den Ensembles dankeswerter Weise in einem großen Saal eines Pflegeheims in der Nachbarschaft unter.

Viele Musikvereine waren in den Wochen seit jenem 13. März sehr aktiv. Ich war teilweise sehr erstaunt, mit welcher Kreativität und Innovation sich die Musikvereine Aktionen überlegt haben, um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken, frei gewordene Zeit musikalisch zu nutzen und der Krise allgemein zu trotzen. Balkon-Konzerte, diverse Challenges, Zoom-Meetings mit Frühschoppen, Spielen und Diskussionen, Getrennt-zusammen-Videos (wie heißt das, gibt es dafür ein Fachwort?), Fotocollagen und vieles mehr. Die Dirigentinnen und Dirigenten berichteten mir davon, dass sie Videos, Übungsblätter, Noten für ihre MusikerInnen bereitgestellt haben. Es wurden Online-Proben versucht. Online-Instrumentalworkshops verantaltet. Alles mit dem Ziel, mit dem Musikverein präsent zu bleiben und das Sozialgefüge zusammen zu halten. Die Jugendabteilungen haben ihre Nachwuchs-Werbung auch ins Internet verlegt: Aufwändige Videos pro Instrument wurden gedreht, um den Kindern und Jugendlichen die Instrumente näher zu bringen und sie dazu zu bringen, nach den Sommerferien ein Instrument zu lernen.

Ich muss aber zugeben, ich war auch erstaunt, dass manche Musikvereine überhaupt nichts unternommen haben. Zuerst dachte ich, okay, eine längere Pause tut auch mal gut. Die Leute haben mit wichtigeren Problemen zu kämpfen. Gesundheitlich, im Beruf, in Schule und Studium, in der Familie. Sie waren mit ungewohnten Dingen konfrontiert: Home-Office, Kurzarbeit, Kinderbetreuung, Krankheitsfälle, Zukunftssorgen. Musikverein? Ist angesichts dieser Probleme nun wirklich keins…

Dann aber die Befürchtung: Oje, diese Vereine, die nun nicht doch aktiv werden, haben diese überhaupt eine Chance nach Wochen, Monaten des Nichts tun, irgendwann in ihrer alten Stärke wieder weiter zu machen? Meistens habe ich mit den sehr aktiven, überaus engagierten Vereinsverantwortlichen persönlich zu tun. Und wenn schon diese sagen, dass sie damit rechnen, dass nicht mehr alle MusikerInnen zurückkommen, wie sieht es dann in den Vereinen aus, die in den vergangenen Monaten keine Aktionen unternommen haben? Deren Verantwortliche lethargisch einfach abgewartet haben?

Nun. Noch ist es sehr schwierig eine Prognose abzugeben, wie es denn wirklich in unseren Musikvereinen besetzungsmäßig aussieht, wenn es denn „tatsächlich“ wieder los geht. Wir lesen zwar überall in Zeitungsberichten und im Internet von vielen Blasorchestern: „Es geht wieder los!“, „Wir proben ‚mit Abstand‘ am besten“ und vieles mehr. Aber wenn wir ehrlich sind: Ein Proben mit dem Gesamtorchester wie wir es gewohnt waren, ist zurzeit nicht möglich und wird auch nach den Sommerferien nicht möglich sein. Die Proben derzeit sind Alternativen und Notlösungen, die wichtig und richtig sind. Wir müssen irgendwie proben. Wir müssen uns alternative Konzertprojekte und Events überlegen. Sonst wird Corona für einige Musikvereine der endgültige Todesstoß.

Wie gehen wir nun aber mit den Wackelkandidaten um? Wie mit den MusikerInnen, die die Gelegenheit nutzen, mit dem Musizieren aufzuhören?

Darüber habe ich sehr lange nachgedacht. Und einen Lösungsansatz gefunden.

In meinen Workshops „Warum Mitglieder nicht nur gefunden sondern auch gebunden werden wollen“ bekommen alle TeilnehmerInnen am Anfang zwei Fragen, die jeder für sich beantworten soll.

Frage 1: „Was hat mich bewogen, ein Instrument zu lernen?”

Frage 2: „Warum bin ich immer noch dabei?”

Was uns die Antworten auf Frage 1 „Was hat mich bewogen, ein Instrument zu lernen?“ im Hinblick auf die Zukunft unserer Musikvereine bringt, werde ich demnächst in einem weiteren Blasmusikblog-Beitrag beschreiben.

Frage 2, „Warum bin ich immer noch dabei?“ ist für die Lösung unseres momentanen, konkreten Problems genau die richtige Frage. Machen wir uns bewusst, warum wir immer noch dabei sind. Was sind genau die tollen Dinge in unserem Musikverein, die uns darin halten? Was gefällt uns am meisten? Was ist das Besondere am Spielen in unserem Blasorchester?

Die Ergebnisse protokolliere ich für die TeilnehmerInnen obligatorisch und stelle sie allen zusammen mit dem Skript nach dem Workshop zur Verfügung. Folgende Antworten kann ich in den Ergebnisprotokollen der Mitglieder-Workshops zur Frage „Warum bin ich immer noch dabei?“, teils mehrfach, lesen:

  • Spaß an der Musik
  • Spaß am Musizieren in der Gemeinschaft
  • Freunde gewonnen / Freundschaften innerhalb des Vereins
  • Der Spaß am gemeinsamen Erfolg und die Freundschaften
  • Guter Ausgleich zum Alltag
  • Tolle Erlebnisse
  • Vereinsleben / Veranstaltungen
  • Es macht sehr viel Spaß, gute Musik zu machen
  • Freude an der Vereinsarbeit
  • Sozialer Treff
  • Abschalten vom beruflichen Alltag
  • Weil mir das Musizieren und die Gesellschaft Freude bereiten
  • Erfüllend
  • Spaß im Verein
  • Gemeinschaft / Kameradschaft
  • Geiles Gefühl, nach einem tollen Konzert den Beifall und das Weizenbier zu genießen
  • Gutes Team
  • Gemeinschaftliche Konzerterlebnisse, um Publikum zu begeistern
  • Notenrepertoire & Dirigent
  • Andere Freizeitaktivitäten
  • Spaß im Team etwas zu erreichen
  • Ist mir wichtig!

Das sind alles Zitate von TeilnehmerInnen! (Und nur Auszüge aus allen Workshops zum Thema „Mitglieder finden und binden“.)

Zusammengefasst also: Warum spielen wir immer noch im Musikverein?

  1. Weil uns das Musizieren in der Gemeinschaft Spaß macht.
  2. Weil wir die Gemeinschaft und die Kameradschaft lieben. Weil wir im Musikverein mit unseren Freunden zusammen sind.
  3. Weil wir das gemeinsame Ziel „Konzert“ haben und uns der Erfolg und die Anerkennung des Publikums Freude macht.

Genau drei Punkte, an denen wir ansetzen können. Daraus resultieren drei Fragen, die sich jeder Musikverein nun selbst stellen muss:

  1. Wie machen wir es unseren MusikerInnen – trotz allem – möglich, in der Gemeinschaft zu musizieren?
  2. Was können wir im außermusikalischen Bereich unternehmen, um das Bedürfnis nach Gemeinschaft, Kameradschaft, Freundschaft zu erfüllen?
  3. Welche Konzerterlebnisse können wir uns – trotz allem – als Ziel setzen?

Zu allen drei Fragen gibt es Ideen, habe ich Ideen. Über alle drei Fragen machen wir uns in den Online-Diskussionsrunden am 12. und am 19. Juli Gedanken. Nicht nur Gedanken: Wir werden in diesen Online-Diskussionsrunden diese Ideen miteinander teilen.

Ich komme mir ja schon manchmal wie eine Predigerin vor. Aber, wir schaffen das nur gemeinsam. Bei den Musikvereinen kämpft nicht jeder für sich. Nur wenn wir alle am gleichen Strang ziehen, geht es den Musikvereinen gut. Nur dann bringen wir unsere Szene nach vorne und werden zur festen Größe, auch bei denen, die sonst nicht so viel mit Blasmusik zu tun haben und dementsprechend auch nicht differenziert darüber kommunizieren. Es bricht sich keiner einen Zacken aus der Krone, wenn er seine eigenen guten Ideen mit den anderen Musikvereinen teilt. Wir stehen nicht in Konkurrenz zueinander!

Die Online-Diskussionsrunde am 12. Juli ist schon ausgebucht. Wer am 19. Juli dabei sein möchte, muss sich beeilen. Es sind Stand jetzt (7.7.2020 um 13.00 Uhr) noch 5 Plätze frei.

Hier geht’s zur Anmeldung: https://elopage.com/s/KulturserviceLink/online-meeting-nach-dem-corona-lockdown-wie-geht-s-in-den-musikvereinen-weiter-sonntag-19-juli-2020

Sollte dieser Termin auch schon bald ausgebucht sein und der Bedarf besteht, organisiere ich am 26. Juli eine dritte Diskussionsrunde.

Und wer bei keiner Online-Diskussionsrunde dabei sein will oder kann: Über die Ergebnisse berichte ich dann spätestens im August auf dem Blasmusikblog.com.

Meine Bitte an Euch: werdet aktiv. Oder wie wir bei uns im Badischen sagen: S’wird Zitt, s’Fiedle z’lupfe!

In diesem Sinne! Bis bald auf dieser Plattform.

Eure

Alexandra

PS Falls Verbandsverantwortliche diesen Beitrag bis hierhin gelesen habe: Gerne führe ich den Workshop „Mitglieder finden und binden“ auch in Ihrem Verband durch. Wir gehen dabei auf Kinder / Jugendliche, fördernde und aktive Mitglieder ein. Anfragen gerne an: alexandra@kulturservice.link.

Alexandra Link

Musik ist ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens. Musizierende Menschen zusammen zu bringen meine Leidenschaft.

    3 thoughts on “Warum bin ich immer noch dabei?

    Schreibe einen Kommentar

    Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert