Warum ich dieses Jahr nicht zur Musikmesse nach Frankfurt fahre

Ich habe die Musikmesse Frankfurt geliebt.

Sehr geliebt.

Die Musikmesse 1990 war die allererste, die ich besuchte. Damals durfte ich – gerade im ersten Lehrjahr zur Musikalienhändlerin bei Musik Gillhaus in Freiburg – mit dem Chef Hans Gillhaus für einen Tag nach Frankfurt fahren. Ich kann mich erinnern, ich war damals ziemlich aufgeregt und nervös. Ich hatte schon viel von der Musikmesse gehört und war sehr gespannt, wie das alles dort so ist und was mich erwartet. Und zu allem Übel hatte ich vom Chef auch noch Aufgaben für mein erstes Mal in Frankfurt bekommen: Ich durfte Noten ordern. Ich. Ganz allein. Im ersten Lehrjahr. Ins kalte Wasser geschmissen, wie es der Chef oft und gerne getan hat. (Ich bin ihm heute noch dankbar für sein unerschütterliches Vertrauen in mich.) Abends auf der Heimfahrt brummte mir der Kopf von all den vielfältigen Eindrücken und der Rücken tat mir weh, weil die Taschen und Tüten so voll waren mit allem, was ich tagsüber an Prospekten, Katalogen und Massen an Werbegeschenken gesammelt hatte.

In den Folgejahren durfte ich jedes Jahr zur Musikmesse. Da mein Bruder damals in Frankfurt-Höchst wohnte, war ich quasi jedes Jahr mehrere Tage auf der Musikmesse. Weil die Notenabteilung bei Musik Gillhaus immer größer wurde, wir immer mehr Kunden hatten, die Blasmusiknoten bei uns gekauft haben, wurden die Aufträge, die ich für die Verlage im Gepäck hatte, von Jahr zu Jahr größer.

Damals war das noch so. Die Musikmesse war für uns Händler wichtig, um die persönlichen Kontakte zu den Verlagen zu pflegen, offene Fragen zu klären und Bestellungen zu Messekonditionen zu tätigen. Kein E-Mail oder Internet stand uns zur Verfügung. Man schickte die Bestellungen per Post. Oder telefonierte. Später schickte man Faxe. Zum täglichen Musikalienhändlerleben gehörte es, Kataloge zu studieren, Demo-CDs anzuhören und Fachliteratur zu lesen. Die Musikmesse in Frankfurt war wichtig um das Band zwischen Verlag und Musikalienhandlung nicht abbrechen zu lassen und Neues kennen zu lernen (Gleiches gilt natürlich für die Instrumentenfirmen). Gillhaus war mit den Jahren zu einem der wichtigsten Händler für Blasmusik- und Bläsernoten geworden.

Im Jahr 1996 wechselte ich die Seiten. Vom Handel hin zum Verlag. Auf der Musikmesse im Jahr 1996 erhielt ich vom De Haske-Verlag das Angebot, die deutsche Niederlassung in Freiburg aufzubauen. Ab 1. Mai 1996 war ich für den De Haske-Verlag tätig. Somit war im Jahr 1997 meine erste Musikmesse als Verlagsmitarbeiterin. Der erste Stand, den ich in Frankfurt organisierte war 15qm groß. Zusammen mit meinem lieben Kollegen Chris und dem Kollegen Hampi aus der Schweiz stemmte ich die Messetage. Die beiden Verlagschefs Jan de Haan und Garmt van der Veen hatten die internationalen Gespräche im Hintergrund (Kabuff genannt).

Von Anfang an war der De Haske-Stand in Frankfurt der Treffpunkt für alle Blasmusiker. Man traf sich „bei Alexandra“ – jeder wußte, wo das war. Die Mannschaft am Stand wurde immer größer, wir hatten immer Komponisten, Arrangeure und Autoren am Stand. (In bester Erinnerung ist die Schachtel mit Kuchen, die uns Wil van der Beek Jahr für Jahr mitgebracht hat). Es wurde gefachsimpelt, beraten, Musik gehört, gelacht, Kaffee getrunken, Geschäftsgespräche geführt, Irritationen aus der Welt geschafft, Sonderwünsche erfüllt und natürlich kamen auch die Bestellungen rein. Von Dirigenten, Musikern und Händlern. Ein fröhliches Miteinander war am De Haske-Stand gang und gäbe. Ich liebte es. Fünf Tage Trubel von morgens bis abends. Klasse. Danach war ich dann eine Woche lang krank. Egal.

Warum ich dieses Jahr nicht zur Musikmesse nach Frankfurt fahre

Ich habe nur eine Musikmesse während meiner De Haske-Zeit komplett verpasst. Das war 2004 als ich mit Lukas (nicht ohne Komplikationen) schwanger war. Ich saß zu Hause und konnte es kaum aushalten.

Im Laufe der Jahre nahm das Sprachen-Gewirr von Mitarbeitern und Kunden babylonische Ausmaße an. Niederländisch, Englisch, Französisch, Italienisch, Lätzeburgisch, Norwegisch, Spanisch, Japanisch, Deutsch, Schwiizerdütsch, Alemannisch und viele andere Sprachen waren am Stand zu hören. Lustig, wenn rechts von mir jemand aus der Heimat stand und links ein Hochdeutscher… Es war ein super Miteinander. Alle Mitarbeiter kannten sich im Sortiment top aus. Jeder wußte was zu tun ist. Jeder, wo er hin greifen muß. Chris konnte man jederzeit fragen, welches Werk auf welcher CD? Und wir bekamen immer die richtige Antwort. Markus, der die Technik mit CD-Playern und später Laptops im Griff hatte. Gisela der ruhende Pol in der größten Hektik. Unser Spaß schwappte nicht selten auf die Kunden am Stand über.

Wichtig von Anfang an war für mich der persönliche Austausch mit Kollegen anderer Verlage und auch mit den Mitarbeitern vieler Instrumentenfirmen konnte ich freundschaftliche Bande knüpfen. Das Untereinander war mir schon immer genau so wichtig, wie die Kontakte mit den Kunden.

Im Jahr 2012 habe ich dann meinen letzten Stand für De Haske organisiert. Mittlerweile war der Stand auf 300qm gewachsen. Von 1996 bis 2012 hatten wir es geschafft, einen mindestens genau so großen Stand zu haben wie die damals größten Verlage auf der Messe Schott oder Music Sales. Heute gehört Music Sales zu Hal Leonard, wie De Haske ja auch.

Der Niedergang der Musikmesse in Frankfurt hatte damals schon längst eingesetzt. Manche Instrumentenfirmen und Verlage pochten – mit Hilfe der Fach-Verbände – auf die Händler-Tage. Sie wollten das „Fußvolk“ – wie die MusikerInnen von vielen abschätzig genannt wurde –  oder „die mit den Schlagzeug-Schlägeln in der Hosentasche“ – nicht am Stand. Sie schimpften über die vielen MusikerInnen, die auch schon an den sogenannten Händler-Tagen, in die Musikmesse eingelassen wurden. Schließlich brachten ja nur die Musikfachgeschäfte den Umsatz (Äh, wer spielt die Instrumente? Wer braucht die Noten? – Ich habe diese Einstellung nie verstanden!!!). Ihnen „graute“ vor den Besucher-Tagen Samstag und Sonntag. Die Chefs der Firmen reisten lieber davor schon ab. Auch einige Musikalienhändler beschwerten sich ständig, weil so viele MusikerInnen da waren. Und dann haben wir am De Haske-Stand auch noch direkt verkauft! Ohjeohjeohjemineee. Nur wenige Musikfachhändler kapierten, wie so eine Messe am besten funktioniert, taten das Richtige und sind mit Bus-Ladungen voller Kunden nach Frankfurt gefahren.

Noch vor zehn bis fünfzehn Jahren gab es Wartelisten für Firmen, die neu auf der Musikmesse ausstellen wollte oder die mehr Quadratmeter wollten. Teilweise drängte man sich durch die engen Gänge voller Menschen – besonders am Freitag, Samstag und Sonntag.

Das Internet und die Musikbranche entwickelten sich in bekannter Weise. Die Händler, vor allem die deutschen und mehr auch die europäischen bzw. aus der ganzen Welt, blieben weg. Nach und nach stellten die Firmen nicht mehr aus. Schließlich kamen auch immer weniger MusikerInnen, da das Angebot nicht mehr da war. Der Hund beißt sich mittlerweile in den Schwanz.

Seit ich selbstständig bin war ich jedes Jahr als Besucher auf der Musikmesse. Vor allem um mit den Kollegen und Freunden von den Verlagen und Instrumentenfirmen zu reden. Letztes Jahr bewegten wir uns über nahezu menschenleere Highways zu den wenigen verbliebenen Blasinstrumentenfirmen und Bläserverlagen. Für meinen Sohn Lukas habe ich extra in der Schule frei gefragt. Er sollte wenigstens noch einmal sehen, was die Musikmesse in Frankfurt ist (oder war?). Bekannte Gesichter haben wir kaum getroffen. Und wenn, dann konnten wir uns in Seelenruhe unterhalten, Kaffee trinken gehen, ohne Stress und Zeitdruck. In meiner Gillhaus-Zeit brauchte ich drei Tage, um mir bei jedem Verlagsstand die Neuheiten anzuschauen, Gespräche zu führen und zu ordern. Heutzutage packt man die Messe lässig in einem Tag. Und hat dann auch noch gemütlich Kaffee getrunken, gegessen, ausgiebig getratscht und vielleicht einer Band gelauscht.

Rolf Hinrichs (Yamaha), Miriam Tressel (IBK), Alexandra Link (IBK), Robin Gaberle (Yamaha)
Rolf Hinrichs (Yamaha), Miriam Tressel (IBK), Alexandra Link (IBK), Robin Gaberle (Yamaha) im Jahr 2017 auf der Musikmesse in Frankfurt

Musik hören kann man mittlerweile auf der Musikmesse ja mehr als genug. Ständig sind irgendwelche Konzerte im Außengelände und was weiß ich wo. Sogar ein ganzes Musikmesse-Festival, über Frankfurt verteilt gibt es. Insgesamt sollen es laut Musikmesse-Website 1.000 Veranstaltungen sein. In wie weit diese Aktionen für Publikum auf der Musikmesse bei den Messeständen sorgt ist mir schleierhaft. Es ist doch nicht die Musik machende Bevölkerung, die zu diesen Konzerten geht. Die BlasmusikerInnen sowieso nicht.

Dieses Jahr findet die Musikmesse vom 2. – 5. April 2019 statt. Samstag und Sonntag sind quasi gestrichen. Irgendwas soll am 6. April noch stattfinden, aber ich habe keine konkreten Infos darüber gefunden, in wie weit das für Blasmusiker interessant ist. Es finden auch Workshops statt. Aber soweit ich das Angebot auf der Website gesehen habe, ist direkt für BlasmusikerInnen nichts dabei. Wer doch in dieser Richtung etwas weiß, kann es gerne unten in die Kommentare schreiben.

Laut FFM-Journal waren es im Jahr 2015 noch 2.257 Aussteller, im Jahr 2016 2.043. Gemäß Clarino zählte die Messe 2018 noch 1.803 Aussteller. Diese Zahl ist auch auf der Musikmesse-Website zu finden. Eine Anzahl Aussteller für dieses Jahr habe ich nicht gefunden. Unter diesem Link findet Ihr eine Ausstellerliste: https://musik.messefrankfurt.com/frankfurt/de/ausstellersuche.html

Entscheidet selbst, in wie weit das Angebot für Euch interessant ist. Leute, die dieses Jahr zum ersten Mal zur Musikmesse fahren, mögen vielleicht noch erstaunt ob der Größe sein (und sich über Firmen, die nicht da sind, ärgern). Menschen, die die Musikmesse seit Jahren kennen wird man vielleicht nicht mehr so viele treffen… Und mich eben auch nicht, weil diejeniegen, die ich gerne treffen würde, größtenteils nicht mehr dort sind.

Alexandra Link

Musik ist ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens. Musizierende Menschen zusammen zu bringen meine Leidenschaft.

    5 thoughts on “Warum ich dieses Jahr nicht zur Musikmesse nach Frankfurt fahre

    • 30. März 2019 at 2:22
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      Liebe Alexandra,

      Du sprichst mir aus der Seele.
      Ich war auch über die letzten 10-15 Jahre regelmäßiger Besucher der Musikmesse. Mit dem Wohnort um die Ecke war die Anreise auch keine große Sache und sollte auch jetzt kein Hindernis darstellen – aber ich gehe nicht mehr hin. Ich habe es geliebt die verschiedenen Instrumente auszuprobieren und einzelne Firmen und Instrumentenbauer direkt miteinander zu vergleichen. Eine Tasche voller Mundstücke dabei und die Möglichkeiten schienen unendlich. Tatsächlich waren die Händlertage zum Ausprobieren am besten geeignet. Kein allzu großer Andrang, weniger nur auf Lautstärke und Höhe bedachte Kollegen usw. Dann der Umbruch mit reinen Besuchertagen….die Messe war knallvoll, laut, aber man traf die immer selben Gesichter. Auch das war schön. In den letzten 3-4 Jahren sind zunehmend die interessanten Firmen verschwunden. Der für mich immer spannende Vergleich der Instrumente wurde eher zu einer enttäuschenden Suche nach den noch verbliebenen Firmen, die sich den Stand leisten konnten. Jedes Jahr waren es ein paar weniger. Selbst die großen Namen blieben aus. Vom erwähnten Antrang und den immer selben Gesichtern war dann auch jährlich weniger zu sehen. Letztes Jahr habe ich dann beschlossen, im nächsten Jahr nicht mehr hinzufahren. An den früher so begehrten Händlerkarten oder Freikarten über irgendeine „Connection“ kann es nicht liegen, denn die bekommt man heute leichter denn je. Wäre ich im Bereich der elektronischen Musik oder Unterhaltentenstechnik unterwegs, sähe es sicherlich anders aus. Dieser Bereich wächst und wächst. Als Blasmusiker bringt das mir allerdings herzlich wenig. Die Verlagerung der Blasmusik in die hinteren kleinen Hallen, teilweise in unzumutbaren Kombinationen (Akustik Gitarren neben Posaunen, nebst Schlagzeugbecken), verdeutlichte nur das schrumpfende Interesse von beiden Seiten, Käufer, wie auch Verkäufer.
      Die Vielfalt war für mich der größte Anreiz zur Musikmesse zu fahren. Das Unterhaltungsprogramm vor Ort war dabei zweitrangig. Ich wollte ja nicht entertained werden. Doch so fühlte es sich im letzten Jahr leider nur noch an. Die Atmosphäre ist eine gänzlich andere. Der Fokus liegt auf Unterhaltung und nicht mehr auf Vielfalt.

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    • 20. April 2019 at 10:18
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      Zum Glück gibt es jetzt den IBK 🙂
      Der ist für Blasmusikerinnen und Blasmusiker ohnehin besser und interessanter, als die Musikmesse jemals war.
      Und es gibt dort eine Messe, bei der man die relevanten Aussteller nicht erst suchen muss.

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      • 21. April 2019 at 11:57
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        Danke Christoph!

        Reply
    • 13. Juli 2019 at 2:00
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      Hallo Alexandra, hallo Michael,

      mir bleibt nach euren Kommentaren nicht viel zu ergänzen.

      Nachdem ich in 17 und 18 nicht auf der Messe war, weil ich mich in 2016 schon nicht mehr so richtig wohl gefühlt habe, dachte ich, fahr mal wieder hin. Hätte ich doch nur Deinen Kommentar liebe Alexandra vorher gelesen. Mir wäre ein Tag voller Ärger erspart geblieben. Wenn ein „Highlight“ ein Stand der Plastikinstrumente verkauft ist, ist wohl alles gesagt. Ich bin nach 3 Stunden auf der Messe frustriert wieder meine 220 km nach Hause gefahren und werde so schnell nicht wieder zur Musikmesse nach Frankfurt fahren.

      Wir sehen uns dann spätestens wieder beim nächsten IBK

      LG
      Arno Hoffmann
      Dirigent und Posaunist

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      • 13. Juli 2019 at 9:06
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        Hallo Arno, schön zu hören, dass Du wieder zum IBK kommst! Ich freue mich.
        Viele Grüße, bis bald,
        Alexandra

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