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Blasmusikaspekte: Probeneinstieg

Der erfolgreiche Einstieg in eine Blasorchester-Probe

Ein Interview mit Niki Wüthrich

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In der Reihe “Blasmusikaspekte” werden im Interview mit jeweils einem Dirigenten / einer Dirigentin ein Teilbereich bzw. ein besonderer Aspekt der Blasmusik bzw. unseres Musikvereinswesen diskutiert. Alle Blasmusikblog-LeserInnen sind eingeladen, sich zum Thema und den Antworten im Kommentarfeld unter dem Beitrag zu äußern! Wir freuen uns auf einen regen Austausch.

Wann ist ein Einstieg in eine Blasorchester-Probe für Dich gelungen?

Wenn die Musiker Ohren, Herz, Lunge und Geist für die Musik geöffnet haben. Oder anders ausgedrückt: der Fokus auf die Probe gelegt wird.

Warum ist der Probeneinstieg und die Einspielphase einer Probe so wichtig?

Der Tubist schleppt sich todmüde nach seiner 10 Stunden-Schicht noch in die Probe obwohl er den Abend viel lieber vor der Glotze mit einem Bier in der Hand verbringen würde. Die Flötistin ist völlig aufgekratzt und schnattert munter von ihren Ferien-Erlebnissen ohne zu realisieren, dass die Probe demnächst beginnt. Der Trompeter wiederum schaut sich auf dem Handy gerade noch den letzten Satz des Tennisfinals an, während die junge Schnupperin auf der Klarinette sich scheu und aufgeregt fragt, ob sie den Ansprüchen des neuen Orchesters wohl genügen wird.

Für uns Dirigenten gilt es  zu Beginn der Probe diese verschiedensten Gemüts- und Energiezustände auszubalancieren und die Musiker in der Probe ankommen zu lassen. Es gilt, aufeinander zu Hören und das Orchester innert kurzer Zeit zu fokussieren, sodass anschliessend eine möglichst effektive und effiziente Probenarbeit gewährleistet werden kann.

Neben dem eigentlichen „Warmspielen“: Was ist wichtig vor dem eigentlichen Proben der Blasorchesterwerke?

Das Aufwärmen des Instruments spielt eigentlich eine nebensächliche Rolle. Viel wichtiger für eine erfolgreiche Probe ist es, den Körper mittels Lockerungsübungen, Stretching, Elementen aus Yoga und natürlich Atmungsübungen in die richtige Haltung und Spannungsbalance für das Musizieren zu bringen. Gerade bei uns Bläsern ist eine natürliche, entspannte Atemtechnik, freie Körperhaltung und ein positives Körperbewusstsein ja die Basis für Klang und Instrumentaltechnik. Zudem versuche ich mit kreativen, überraschenden Übungen und „Spielchen“ einen lebendigen Probeneinstieg zu machen. So soll gute Stimmung aufkommen und die Sorgen und Gedanken des Arbeitstags vertrieben werden. Auch der Geist soll dadurch in der Probe ankommen und sich der Musik zuwenden können.

Individuelles Einspielen versus gemeinsame Einspielphase: Welches sind jeweils die Vor- und Nachteile?

Beim individuellen Einspielen kann jeder Musiker/jede Musikerin für sich gezielt und in seinem/ihrem Tempo diejenigen Übungen machen, die er/sie im entsprechenden Moment und Gemütszustand gerade benötigt. Das ist im Tutti natürlich nur bedingt möglich. Wobei ich als Dirigent versuche, die Stimmung bei mir und im Orchester zu spüren. Am frühen Sonntagvormittag des Probeweekends braucht es eher energetische, die Lebensgeister wieder weckende Übungen. Das kann dann schon mal nach dem Einturnen einer Sportstunde anmuten. Bei der Vorprobe zum Wettspiel stehen hingegen mentale Visualisierung und beruhigende Atemübungen im Vordergrund.

Die gemeinsame Einspielphase dient zudem der Orchesterbildung und dem Ohren öffnen: Wie bette ich meinen Klang in den Gesamtklang ein? Wie bauen wir eine homogene Intonation auf? Welche Funktion übernehme ich im Akkord und was bedeutet das für Balance, Intonation und Klangfarbe? Wer spielt mit mir dieselben Linien? Wie kommt ein gemeinsamer Puls zu Stande? Wie artikulieren wir ein gemeinsames Staccato? Im gemeinsamen Einspielen lassen sich diese Basisfragen des Orchesterklangs erörtern und erfahren.

Welche Bereiche sollen in der gemeinsamen Einspielphase einer Probe abgedeckt sein?

Ich versuche den Einstieg lebendig und spielerisch zu gestalten, sodass keine Routine aufkommt. Dabei jongliere ich mit Atemübungen, Stretching und Körperhaltung, Einsingen, Theaterpädagogischem und Instrumentalübungen. Der Probeneinstieg darf Spass machen und zugleich sollen die Übungen auch dem musikalischen Ergebnis dienlich sein. Immer wieder versuche ich auch Bezüge zu den anschliessend geprobten Werken herzustellen und durch Vereinfachungen und losgelöst vom Notentext Hilfestellungen für Hürden im Repertoire zu bieten.

Niki Wüthrich als Dozent mit dem Workshop Probeneinstieg beim IBK 2020

Wie können Körper, Geist und Seele in der Einspielphase der Probe in Einklang gebracht werden und als wie wichtig siehst Du dies an?

Ich erlebe es für den weiteren Verlauf einer Probe als sehr relevant. Es lohnt sich, diese 10 bis maximal 15 Minuten zu Beginn zu investieren, die verbleibende Probezeit wird viel effizienter und effektiver sein. Ich gliedere die Einspielphase zumeist in drei Teile: einem ersten, stehenden Teil ohne Instrument mit Körper- und Atemübungen, einem zweiten Teil mit Instrument und/oder singen. Diese Übungen (meist unisono ohne Notentext) fördern Klangvorstellung und öffnen die Ohren. Im dritten Teil des Einspielens kommt ein konventioneller Choral oder eine notierte, komplexere, mehrstimmige Übung ab Noten zum Zug. Etwas metaphorisch gesprochen, könnten diese drei Bereiche auch in Übungen für Körper (Phase I), Geist (Phase II) und Seele (Phase III) eingeteilt werden.

Die Musikerinnen und Musiker kommen von ihrem Schul-/Studium-/Arbeitsleben in die Probe. Wie schaffst Du es, dass alle ihren Fokus auf die Probe und auf das Musizieren richten?

Es wäre vermessen zu behaupten, dass ich das immer schaffe. Auch mit meinen Orchestern gibt es unkonzentrierte, undisziplinierte Proben, bei welchen der Wurm drin ist. Aber mit obig beschriebener Übungspalette wird ab der ersten Minute des „Einturnens“ ein aktives Mitwirken jedes einzelnen Musikers verlangt. Es kann nicht „auf Autopilot“ geschaltet werden. Die Übungen erfordern kognitives und körperliches Engagement. Dadurch erlebe ich eine rasche Fokussierung auf die Gruppe und den Moment, der zumeist auch für den weiteren Verlauf der Probe erhalten bleibt.

Welche Methoden sind für die Einspielphase geeignet?

Verschiedenste Einflüsse fliessen in die Einspielphase ein: Die Körperphase beinhaltet Stretching, Elemente aus Yoga und Kinesiologie und natürlich ganz viele Atemübungen aus meiner Praxis als Posaunist. Hin und wieder verirrt sich auch ein Sprechgesang oder eine Gruppenübung aus der Theaterpädagogik. Das macht Spass und ist Gehirn- und Artikulationsjogging gleichermassen. In der zweiten Phase kommen viele Unisono-Übungen (Tonleitern, Intervalle, Akkorde) zum Einsatz, hie und da auch mit musiktheoretischen Erläuterungen. Und wir singen immer wieder einfache Kinderlieder oder Kanons und versuchen diese aus dem Gehör auf dem Instrument umzusetzen. In der dritten Phase kommen für die Seele Choräle oder mehrstimmige Übungen zum Einsatz. Dabei nehme ich wenn möglich Bezug auf ein zu probendes Werk (z. B. ein Choral, der in einer Komposition verarbeitet wird) oder verwende vorhandene Einspielliteratur.

Welche Auswirkungen hat eine systematische Einspielphase, in der alle Bereiche kontinuierlich in jeder Probe berücksichtigt werden, auf lange Sicht für das Orchester?

All diese Übungen schulen einerseits die individuellen, instrumentalen Fähigkeiten und fördern andererseits das Bewusstsein und Ohr für einen homogenen Orchesterklang. Ich erhoffe mir, dass die eine oder andere Übung auch ins tägliche Warm-Up zu Hause einfliesst. Auf lange Sicht kann ich eine Verbesserung der Klangvorstellung, der bläserischen Fähigkeiten und des Orchesterklangbilds feststellen.

30 Original Chorals and Warm-Ups

Verwendest Du für die Einspielphase gängige Orchester- bzw. Lehrwerke und wenn ja, welche?

Ja, gerade für die dritte Phase ist sehr viel gute Literatur vorhanden. Ich schätze beispielsweise die Systematik und Sorgfältigkeit von Hans-Peter Blasers Band-Coaching Bänden oder die bezüglich Tonarten und Harmonik abwechslungsreichen vierstimmigen 30 Original Chorals and Warm-Ups von Philip Sparke.

Vita Niki Wüthrich

Niki Wüthrich
Niki Wüthrich

Niki Wüthrich ist seit 2019 Dirigent des Blasorchesters der Stadtmusik St.Gallen. Schon einige Jahre dirigiert er die Stadtmusik Zürich (seit 2013) und die Stadtmusik Bremgarten (seit 2010). Als vielseitiger und leidenschaftlicher Musiker liegen ihm Konzerte mit einem besonderen Augenmerk auf eine spannende Programmkonzeption und spartenübergreifende Bezüge besonders am Herzen. Als Dirigent blickt er zudem auf erfolgreiche Zusammenarbeiten mit Formationen wie der Camerata Schweiz, dem Collegium Musicum Turicense, dem Sinfonieorchester con Brio, dem Akademischen Chor Zürich, dem Solothurner Jugendblasorchester, dem Musikverein Meilen oder dem Zürcher Blechbläser Ensemble und gemeinsam mit Solisten wie Madeleine Merz (Sopran), Rita Karin Meier (Klarinette), Kent Stettler (Vocals), Seth Quistad (Posaune) oder Eliana Burki (Alphorn)) zurück. 2010 erreichte er den Halbfinal des 6. Schweizerischen Dirigentenwettbewerbs.

Als Posaunist lebt Niki Wüthrich seine Kreativität mit Vorliebe in Brass Ensembles wie dem Quintetto Inflagranti oder dem Swiss Brass Consort aus. Zudem darf er als Mitglied des Collegium Musicum Basel immer mal wieder das grosse sinfonische Repertoire aufführen. Seine Studien absolvierte er an der Hochschule für Musik und Theater in Bern in den Fächern Posaune (bei Armin Bachmann (Lehrdiplom) und Branimir Slokar (Konzertdiplom mit Auszeichnung)) sowie Orchesterdirektion bei Dominique Roggen. Weitere wertvolle Impulse von Markus Wüest (Posaune) sowie Douglas Bostock, Andreas Spörri, Isabelle Ruf-Weber und Alexander Rumpf (Dirigieren) bereichern seine musikalische Ausbildung.

Ergänzend ist Niki Wüthrich gerne als Wettbewerbs-Juror im Einsatz und fördert den musikalischen Nachwuchs in Bremgarten im Rahmen eines Musikschulleiterpensums. 2012 bis 2018 durfte er im Dirigentenkursleiterteam sowie im «Vorstand Bereich Musik» des Zürcher Blasmusikverbands tätig sein. Als ausgebildeter Kulturmanager (Master of Advanced Studies in Arts Management, Uni Basel) hatte er die Produktionsleitung des Konzerttheaters «Im Orchester graben» mit Ursus & Nadeschkin inne und war von 2004 bis 2015 Geschäftsführer der Camerata Schweiz.

Alexandra Link

Musik ist ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens. Musizierende Menschen zusammen zu bringen meine Leidenschaft.

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