Corona und die Blasmusik in der Schweiz

Ein Gastbeitrag von Alexander Kübler

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Literaturvorschläge für flexible Besetzungen am Ende des Beitrags

Ein Jahr ist mittlerweile vergangen, seit die Schweiz den ersten Lockdown verkündet hat. Ein Jahr, das auch in der Schweizer Blasmusikszene Spuren hinterlassen hat und die Blasmusik hierzulande immer noch prägt. Auch für mich persönlich waren die letzten Monate von Höhen und Tiefen begleitet und dem Bewusstsein, dass sich alles sehr schnell ändern kann.

Konzertplakat

Zu Beginn des ersten Lockdowns dauerte es eine Weile, bis man sich wirklich bewusst war, dass das Proben von politischer Seite nun untersagt ist und dass sämtliche Konzert- und Projektvorbereitungen auf Eis gelegt sind. Zudem wurde alles, worauf man hingearbeitet hat, der Reihe nach abgesagt. Eine Schockstarre, die viele Vereine und auch mich im ersten Moment gelähmt hat. Ideen waren gefragt, wie man ohne physische Präsenz so etwas wie «musikalische Aktivität» generieren kann. Da lag es Nahe technische und digitale Möglichkeiten verstärkt in den Fokus zu rücken. Primär von Bedeutung für mich war es, mit meinen Vereinen in Kontakt zu bleiben. Regelmässig Botschaften und aufmunternde Worte an die Musiker zu richten und sie zu motivieren auch ohne Probe dran zu bleiben. Zudem gab es sogenannte «digitale Proben» die in Form eines Videos jeder für sich daheim abspielen und sich somit das Probenfeeling ins Wohnzimmer holen konnte. Weitere Aktionen wie eine Übe-Challenge und verschiedene Spiel-Übungen zu bestimmten musikalischen Themen waren Bestandteil eines digitalen Programms für meine Vereine. Allerdings hat sich aus meiner Sicht gezeigt, dass diese digitalen Möglichkeiten eine Live-Probe nicht wirklich ersetzen können. Es war vielen schon vorher bewusst: Eine Probe ist mehr als nur das gemeinsame Musizieren. Es bedeutet zwischenmenschliche Kontakte zu pflegen, sich auszutauschen, gemeinsam lachen und in der Gemeinschaft Spass zu haben. Das schafft kein digitales Format auch nur im Ansatz. Und wem es bis zum ersten Lockdown nicht klar war, der hat es spätestens während der Pandemie schmerzlich erfahren: Musizieren ist Gemeinschaft!

Im Frühjahr kamen auch in der Schweiz die ersten Lockerungen. Ab Juni war es auch den Musikvereinen wieder erlaubt mit Schutzkonzept zu proben. Da aufgrund der geforderten Abstände viele Probenräume nicht genutzt werden konnten verlegte man die Proben nach draussen. Eine spannende Erfahrung, da nicht nur die Abstände zwischen den Musikern eine Herausforderung darstellten, sondern auch die Akustik das Proben erschwerte. Zudem ist die Schweiz nicht Florida, wodurch das Wetter natürlich immer eine Rolle spielt. Wir lernten mit der Feuchtigkeit von unten

Out-Door-Proben

und von oben zu leben, kühle Temperaturen auszuhalten und den Lichtverhältnissen zu fortgeschrittener Stunde entgegen zu wirken. Doch man konnte wieder gemeinsam musizieren. Zwar ohne ein Ziel und mit Abstrichen was die Probenqualität betraf, aber das primäre Ziel, ein Gemeinschaftsgefühl wieder herzustellen, konnte umgesetzt werden. Das galt natürlich auch für die Proben in der Halle. Ein Gefühl von «Es geht wieder aufwärts» machte sich in mir breit. Wer konnte ahnen das uns die Pandemie noch lange und intensiv begleiten wird.

Es folgte die Sommerpause. Eine vermeintlich fast unbeschwerte Zeit. Am Ende der Sommerferien konnte die Jugendmusik ihr Musiklager unter deutlich erschwerten Bedingungen durchführen. Und sogar das Jahreskonzert Ende August fand statt. Ironie des Schicksals: Das einzige Konzert im Jahr 2020 habe ich nicht selbst dirigiert. Aufgrund der Geburt meiner Tochter war ich im Papi-Urlaub.

Nach der Sommerpause startete ich zuversichtlich in eine neue Probenphase. Meine Musikvereine probten nun jeweils in einer Halle, um die Abstände einhalten zu können. Die Jugendmusik musizierte im Probenlokal mit Plexiglaswänden, um den geringeren Abstand im Probelokal kompensieren zu können. Konzerte wurden geplant, was sich mit den Vorgaben zum Infektionsschutz durchaus als eine Herausforderung darstellte. Aber es stellte sich so etwas wie «Probenalltag» ein. Ich persönlich war zuversichtlich, dass sich diese neue «Normalität» fürs Erste etablieren wird. Doch weit gefehlt. Die Infektionszahlen stiegen von Woche zu Woche und die Gefahr neuerlicher Einschränkungen wurde immer mehr latent. Im Frühherbst verschärften sich die Vorgaben. Neu musste bis zum Sitzplatz Maske getragen werden. Die Maskenpflicht hatte nun auch die Schweiz erreicht. Im Oktober stiegen die Fallzahlen rasant an und Ende des Monats wurde der Probenbetrieb endgültig wieder eingestellt. Wie bereits im Frühling wurden die Konzerte wieder reihenweise abgesagt. Frustration und Enttäuschung machte sich breit.

Erlaubt waren ab sofort nur noch maximal 15 Personen. Wir suchten uns neue Ziele. Ein Rundgang durchs Dorf sollte es kurz vor Weihnachten sein. Nach kurzer Zeit, die fürs Zusammenstellen der Gruppen benötigt wurde, konnten wir wieder starten. Allerdings mit deutlich reduzierter Mannschaft und natürlich anderer Literatur. Es zeigte sich: Wie gut gibt es die Flex-Arrangements diverser Verlage, die genau für solche Besetzungen gedacht sind. Wir legten also wieder los in der Hoffnung, dass wenigstens dieser kleine Anlass einmal zur Durchführung gelangen wird. Doch allmählich machte sich auch Frust und Enttäuschung breit in den Vereinen. Bei zwei meiner drei Formationen lag das letzte Konzert 12 Monate zurück. Die kurzfristigen Absagen von Konzerten zerrte an den Nerven aller Beteiligten. Mein neuer Konzertanzug hatte die Bühne bis dato noch nicht erlebt. An ein «normales» Vereinsleben war seit fast einem Jahr nicht zu denken. Die Unsicherheit war gross und die Perspektiven tendierten gegen Null. Und dann die nächste Enttäuschung: Mitte Dezember ein weiterer Lockdown in der Schweiz. Die Probenarbeit wurde wieder komplett eingestellt und der geplante Rundgang durchs Dorf wenige Tage vor der Durchführung abgesagt. Eine weitere Absage reihte sich ein in die vielen verlorenen Anlässe im Jahr 2020. Musikalisch ein Jahr zum Vergessen und eine bis dahin nie da gewesene schmerzliche Erfahrung vieler Musikerinnen und Musiker, ganz gleich ob Profi oder Laie.

Neustart mit kleinen Ensembles

Nachdem wir alle Weihnachten und Silvester über die Bühne gebracht haben war im neuen Jahr guter Rat teuer. Die Schweiz erlaubte es den Vereinen mit maximal 5 Personen zu proben. Und doch stellte sich die Frage: Wollen wir das überhaupt? Macht das musikalisch Sinn sich zu fünft zu formieren und zu »proben»? Es vergingen ein paar Wochen, bis ich zu dem Schluss kam, den Musikern ein Angebot zu machen, die gerne wieder musizieren möchten. So entstanden beim Musikverein Islikon-Kefikon drei 5er Gruppen: Die «Monday-Clarinets», eine reine Klarinettengruppe, die «Wednesday-Stompers» und die «Friday-Five». Auch bei der Musikgesellschaft Müllheim bildeten sich zwei 5er-Gruppen, die beide an zwei verschiedenen Standorten am Mittwoch Abend probten. Auch hier zeigte sich wie hilfreich die Flex-Arrangements sein können. Und wie gross der Lerneffekt sein kann, wenn man sich in einer kleinen Gruppierung behaupten muss. Das erfordert durchaus Mut und erntet viel Anerkennung von mir. Da ich als Dirigent immer zu den 5 Personen dazu gezählt wurde war es für mich persönlich keine Option den Taktstock auszupacken, um dann mit 4 Musiker zu «proben». Ich nahm also meine Klarinette mit und war damit Teil der Kleinformation. Auch hier sind die Flex-Partituren von Vorteil: Man kann die verschiedenen Stimmen immer mitspielen und damit den Musiker musikalisch unter die Arme greifen. Auch wenn es manchmal herausfordernd war gleichzeitig seine Stimme zu spielen, die anderen Stimmen im Blick zu haben und gegebenenfalls einzugreifen und gleichzeitig mit dem Instrument noch ein wenig zu dirigieren, war es immer ein grosser Spass für alle Beteiligten.

Die Jugendmusik Islikon-Kefikon kann seit Anfang März wieder fast in Vollbesetzung proben. Alle bis Jahrgang 2001 dürfen wieder zusammen musizieren.

Für die Jugendmusik bringt dies wieder ein Stück Normalität in einer Zeit, in der Kontaktbeschränkungen immer noch das Mass aller Dinge sein sollen und die Fallzahlen in der Schweiz sehr fragil sind. Doch wie sehr sich die jungen Menschen wieder nach der Musik oder zumindest nach Gemeinschaft sehnen, zeigte sich darin, wie sehr die Proben angenommen wurden. Und ich konnte nach fast drei Monaten mal wieder den Taktstock vor Musikern in die Hände nehmen. Auf Dauer war der Spiegel doch ein recht stiller Geselle zum Dirigieren.

Mitte April erfolgte dann der nächste Lockerungsschritt. Den Blasorchestern ist es ab diesem Zeitpunkt wieder erlaubt mit 15 Personen zu proben. Jedoch bleibt das Konzertieren für den Laienbereich weiterhin untersagt. Was sich als Lockerung tarnt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen allerdings als Verschärfung. Denn für jeden Musiker muss neu 25 Quadratmeter zur Verfügung gestellt werden. Bei 15 Personen beträgt die Fläche zum Proben nun 375 Quadratmeter. Das schafft keine Halle der Gemeinden in der meine Vereine ansässig sind. Allerdings kann diese Vorgabe abgeschwächt werden, wenn «geeignete Abschrankungen» zur Verfügung stehen. Was genau das heisst ist allerdings von politischer Seite nicht genau definiert. Plexiglaswände sollten hierfür ausreichen. Die Musikgesellschaft Müllheim legt ihre zwei 5er-Gruppen zu einer Gruppe zusammen und probt nun mit Plexiglas in der Gemeindehalle in Müllheim. Der Musikverein Islikon-Kefikon hat nun zwei 15er-Gruppen gebildet, jeweils mit und ohne Selbsttest und probt ab sofort im neuen Probelokal, gleichfalls mit Plexiglaswänden. Meine Hoffnung ist aber, dass wir bald wieder in Vollbesetzung proben und musizieren können und ich mal wieder vor einem grossen Orchester meinem Beruf als Dirigent nachgehen kann.

Die Entwicklung, die die Pandemie in Bezug auf die Blasmusik genommen hat, ist mehr als bedenklich. Mir ist bewusst das die Situation der Blasorchester in Deutschland und Österreich deutlich schlechter ist als in der Schweiz. Aber mit einem kämpfen alle drei Länder: Die Stigmatisierung der Blasmusik als «Gefahr der Volksgesundheit» ist unverkennbar. Zahlreiche Studien haben allerdings belegt, dass die Gefährdung durch Blasinstrumente nicht gravierend höher ist als in anderen Bereichen und Branchen des gesellschaftlichen Lebens. Eine Unterhaltung zwischen mehreren Personen vermag das Ansteckungsrisiko deutlich mehr zu erhöhen als das Spielen von Blasinstrumenten.

Es steht ausser Frage, dass die Blasmusik Schutzkonzepte braucht. Es steht auch nicht zur Diskussion, dass die Blasmusik mit ihren Orchestern und 65.000 Mitgliedern in der Schweiz eine Sonderbehandlung möchte. Und es ist ohne Zweifel, dass jeder für sich entscheiden muss, ob er in einer Gruppe musizieren möchte oder nicht. Aber auch die Blasmusik verdient eine faire, sachliche, fakten- und wissenschaftsorientierte Politik in der Pandemie. Die Musikerinnen und Musiker möchten wieder musizieren und wir Dirigenten unserem Beruf nachgehen. Mit dem grösstmöglichen Schutz aller Beteiligten. Aber mit realistischen Massnahmen und umsetzbaren Vorgaben. Ich hoffe, dass im Zuge der Impfkampagne, sich auch die Situation der Blasmusik wieder deutlich bessern wird, so dass wir bald wieder proben und öffentlich musizieren können. Denn eines ist sicher: BLASMUSIK TUT GUT!

Literaturvorschläge für Flexible Ensembles von Alexander Kübler:

Idar Torskangerpoll: 6F Swing – Vierstimmig variable Besetzung
Paul Murtha (Arr.): Bohemian Rhapsody – Flex Band, Flexible 5-stimmige Besetzung
Paul Lavender (Arr.): Evil Ways – Flex Band, Flexible 5-stimmige Besetzung
Michael Sweeney (Arr.): Great Movie Adventures – Flex Band, Flexible 5-stimmige Besetzung
Johnnie Vinson (Arr.): Lord of the Dance – Flex Band, Flexible 5-stimmige Besetzung
Johnnie Vinson (Arr.): Michael Jackson Hit Mix – Flex Band, Flexible 5-stimmige Besetzung
Inge Sunde (Arr.): Music to Watch Gilrs By – Flexible 5-stimmige Besetzung
Idar Torskangerpoll (Arr.): Singing in the Rain – Flexible 5-stimmige Besetzung
Johnnie Vinson (Arr.): Skyfall – Flex Band, Flexible 5-stimmige Besetzung
Jay Bocook (Arr.): The Liberty Bell – Flex Band, Flexible 5-stimmige Besetzung
Inge Sunde (Arr.): There’s no business like show business – Flexible 5-stimmige Besetzung

Alexander Kübler

Alexander Kübler

Alexander Kübler wurde 1985 in Tiengen (Deutschland) geboren. Nach seiner Schulausbildung und dem erfolgreichen Abschluss des Abiturs war er Vorstudent an der Musikschule und Konservatorium in Winterthur. Das anschliessende Studium an der ZHdK (Zürcher Hochschule der Künste) beendete er 2008 erfolgreich mit dem Abschluss „Bachelor of Arts“ und 2010 mit dem „Master of Arts“ in Instrumentalpädagogik mit Spezialisierung auf die Klarinette. In dieser Zeit erhielt er 4 Jahre lang Dirigierunterricht bei Hans-Peter Blaser. Danach folgte ein Zusatzstudium. Im Jahre 2012 erhielt er nach zweijähriger Studienzeit an der „Hochschule für Musik“ in Basel unter Leitung von Felix Hauswirth das „Diploma of Advanced Studies“ in Blasorchesterdirektion.

Alexander Kübler leitete 5 Jahre die Jugendstadtmusik Tiengen (D) und war von 2006 bis 2015 Dirigent des Musikvereins Dangstetten (D). Er dirigiert seit Mai 2013 den Musikverein Islikon-Kefikon in der Schweiz, leitet seit August 2014 die Jugendmusik Islikon-Kefikon und dirigiert seit September 2015 die Musikgesellschaft Müllheim, ebenfalls in der Schweiz.

Ferner erteilt Alexander Kübler Unterricht in Klarinette an verschiedenen Standorten, z.B. an der Musikschule Südschwarzwald und der Musikschule Bad Säckingen sowie in der Schweiz an der Musikschule Andelfingen und der Musikschule Weinland Nord. Außerdem ist er mit regelmäßigen Orchesterengagements und Kammermusikformationen in der Schweiz und Deutschland unterwegs.

Alexander Kübler hat auch eine Leidenschaft für das Singen und Schauspielen. Gesangsunterricht erhielt er bei David Thorner in Winterthur und zurzeit bei Markus Süss. Außerdem ist er Mitglied im Ensemble „muss“, einer in der Hochrhein-Region sehr bekannten Musiktheatergruppe.

Des Weiteren erhält Alexander Kübler Dirigierunterricht bei Isabelle Ruf-Weber (Sursee).

Alexandra Link

Musik ist ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens. Musizierende Menschen zusammen zu bringen meine Leidenschaft.

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