Orchesteraussprache, Fragebogen, Klausurtag: Was tun, wenn’s im Musikverein knistert?
Der Probenbesuch ist schlecht. Auftritte mussten schon abgesagt werden, weil der Musikverein nicht ausreichend besetzt war. MusikerInnen üben nicht. Das Gemeckere über die Repertoireauswahl des Dirigenten hört nicht auf. Die einen wollen mehr Party, die anderen mehr Musik. Man spürt die Unzufriedenheit im Orchester, kann als Vorstand aber nicht genau sagen, woran es nun genau liegt.
Viele von uns kennen diese Situationen. Spielen in Musikvereinen, in denen nicht alles rund läuft. Sind Vorstand in einem Musikverein und stehen vor der Aufgabe „den Laden zusammen zu halten“. Oder dirigieren in diesen Vereinen und haben auf Dauer keine Lust mehr, so weiter zu machen.
Die Frage: Was tun? Eine Orchesteraussprache? Die MusikerInnen mittels Fragebogen nach ihrer Meinung, ihren Wünschen, ihrer Kritik fragen? Einen Klausurtag veranstalten?
Orchesteraussprache
Egal ob es zur Zeit rund läuft oder eben nicht: Regelmäßige Gesprächsrunden – einmal im Jahr – sind sinnvoll. Das heißt aber nicht, dass zwischen diesen Gesprächsrunden keine Kommunikation stattfinden soll. Der große Knackpunkt in vielen Vereinen ist genau diese interne Kommunikation. Fühlen sich die MusikerInnen unzureichend informiert fördert dies die Unzufriedenheit. Die schlechte Nachricht: Je mehr Kommunikationskanäle uns zur Verfügung stehen desto mehr müssen wir nutzen. Und zwar regelmäßig.
Folgende Kommunikationsmittel stehen uns im Musikverein zur Verfügung:
- Informationsrunde in der Pause oder nach der Probe
- Ausgedruckter Info-Zettel bzw. Terminplan für jeden und für die Pinwand
- WhatsApp-Gruppe
- Website
Zu viel des Guten? Ich denke nicht. Jeder spricht auf andere Kommunikationsmittel an und einmal „sagen“ reicht meistens nicht. Erstens, weil nicht immer alle in der Probe sind, zweitens kann es ein Sender-Empfänger-Problem geben und drittens, bei der Vielzahl der Infos geht schon einmal etwas Wichtiges bei dem ein oder anderen unter.
Über die interne Kommunikation habe ich vor einiger Zeit schon einmal einen Beitrag geschrieben: Wie interne Kommunikation im Musikverein gelingt.
Zurück zur Orchesteraussprache. Das Angebot in großer Runde das vergangene Jahr zu rekapitulieren, die momentane Situation zu erläutern und einen Ausblick auf das kommende Jahr zu geben ist zunächst einmal positiv zu bewerten.
Schwierig kann es werden, wenn Probleme, Herausforderungen, Unzufriedenheit einzelner oder mehrerer Personen auf den Tisch kommen. Hier bedarf es eines großen Geschickes des Diskussionsleiters, damit dies nicht in Streit ausartet. In einer öffentlichen Runde wird es immer Leute geben, die sich nicht trauen, ihre eigene Meinung zu sagen. Dem entgegen stehen dann Personen, die sehr vehement und lautstark ihre Gedanken, Befürchtungen und ihre Kritik äußern. Mit Diskussionen auf sachlicher Ebene, ohne persönliche Befindlichkeiten, haben viele so ihre Mühe. Kritik entgegen zu nehmen – egal wie konstruktiv sie geäußert wird – ist manchen auch nicht ohne weiteres möglich. Den Verlauf einer Gesprächsrunde zu steuern, so dass auch wirklich alle Bereiche des Musikvereinslebens besprochen werden, ist für einen Diskussionsleiter nicht ganz einfach. Es hängt auch immer davon ab, wie viel Zeit für diese Gesprächsrunde eingeplant wird. Ein riesen großes Überraschungs-Ei also, was bei einer freien, jährlichen Gesprächsrunde so raus kommt und was es für die Zukunft überhaupt bringt.
Bei offensichtlichen Problemen innerhalb des Musikvereins rate ich von einer Gesprächsrunde ohne externe Moderation ab.
Fragebogen
„Was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen“. Goethes Worte weise und klug? Wohl eher ein Ausdruck von Resignation. Denn „zu Hause“ liegt es dann ganz gut…
Fragebogen – was bringt er?
Zunächst aber einmal die Frage: Was bewegt Musikvereine, eine Fragebogen-Aktion für ihre MusikerInnen zu starten? Die Antwort liegt auf der Hand: Die Anonymität soll genau jenen die Gelegenheit zur kritischen Äußerung geben, die sich nicht trauen, öffentlich etwas zu sagen. Stimmungsbilder sollen abgefragt werden. Ebenso Tendenzen, Meinungen, Wünsche und Bedürfnisse.
Folgende Bereiche können im Fragebogen berücksichtigt werden:
- Proben
- Auftritte / Konzerte
- Programmgestaltung
- Persönliche Einstellung
- Publikum
- Dirigent
- Vorstandschaft
- Vereinsleben
- Jugend / Jugendarbeit
- Zufriedenheit mit der Ist-Situation
Schwarz auf weiß zu sehen, wie die MusikerInnen innerhalb des Vereins denken und wie sie gewisse Dinge bewerten, ist sehr wertvoll. Spannend wird dann aber, was die Verantwortlichen aus den Informationen schließen und welche Aktionen für die Zukunft des Vereins daraus folgen. Je nachdem in welcher Weise gefragt wird erhält man ein sehr gutes Stimmungsbild über die Lage im Orchester.
Folgende Fragetechniken innerhalb des Fragebogens gibt es:
- Aussagenbewertung mit „trifft zu“ bis „trifft gar nicht zu“
- Zufriedenheitsbewertung „sehr zufrieden“ bis „gar nicht zufrieden“
- Einschätzungen von „geeignet“ bis „ungeeignet“
- Persönliche Präferenzen von „wichtig“ bis „gar nicht wichtig“
- Freie Felder zur Meinungsäußerung
Doch sind die Antworten und Bewertungen auch wirklich geeignet, Maßnahmen zu definieren, die den Musikverein nach vorne bringen? Ich bin mir nicht sicher.
Ich selbst habe schon zwei Fragebogen-Aktionen in Musikvereinen mitgemacht. Einmal selbst als Spielerin in einem Musikverein. Einmal hat mich ein Musikverein gebeten, eine Fragebogen-Aktion mit ihnen durchzuführen.
Bei der Fragebogen-Aktion im Musikverein, in dem ich selbst mitgespielt habe, hat man keinen externen „Betreuer“ und anschließenden Diskussionsleiter hinzugezogen. Für die öffentliche Präsentation der Ergebnisse wurden zwei Stunden nach einer „kurzen“ Probe angesetzt. Ein konkreter Maßnahmen-Fahrplan resultierte aus dieser Maßnahme nicht. Die Diskussion bei der Präsentation der Ergebnisse war nicht zielführend. Die Zeit war viel zu kurz angesetzt. Es blieb eigentlich nur Unzufriedenheit mit der Aktion zurück. Einzig, bei zukünftigen Entscheidungen wurden die Ergebnisse sporadisch als Grundlage hinzugezogen.
Mit dieser Erfahrung im Rücken habe ich die Fragebogen-Aktion nach Gründung meiner Firma mit einem externen Musikverein durchgeführt. Schon bei der Erstellung des Fragebogens konnte ich aus den Erfahrungen schöpfen, was Sinn macht und was nicht. Bei der Interpretation der Ergebnisse in der öffentlichen Präsentation – mit ausreichend Zeit an einem Samstag – war es möglich, sehr unbefangen Maßnahmen zu definieren, die aus den Aussagen aus dem Fragebogen resultierten. Da bei der Präsentation nahezu alle MusikerInnen da waren, konnte der Maßnahmenfahrplan auch auf Grundlage einer breiten Zustimmung erstellt werden. Außerdem war es möglich, viele MusikerInnen auch außerhalb der Vorstandschaft „in die Pflicht“ zu nehmen.
Fazit: Eine Fragebogen-Aktion macht nur dann Sinn, wenn Fragestellung und Interpretation der Ergebnisse in einem konkreten Maßnahmenfahrplan resultieren, mit dem die Mehrheit der MusikerInnen einverstanden ist und es gelingt, so viele MusikerInnen wie möglich in diese Maßnahmen einzubinden. Eine externe Begleitung erscheint sinnvoll.
Eine Bemerkung noch zur Realisierung von Fragebogen-Aktionen: Vieles spricht innerhalb des Musikvereins auch heute noch für die Papierform. Vor allen Dingen deshalb, weil nicht alle MusikerInnen online-affin sind. Mit Hilfe einer Mitgliederliste ist es möglich zu erfassen, wer den Fragebogen ausgefüllt abgegeben hat. Natürlich im verschlossenen Umschlag, damit die Anonymität gewährleistet ist. Ich möchte der Vollständigkeit halber aber auch auf entsprechende Online-Programme hinweisen. Ich selbst arbeite regelmäßig mit Umfrage Online, gängig ist jedoch auch SurveyMonkey. Hier gibt es leider keine Möglichkeit zu sehen, wer bei der Aktion nicht mitgemacht hat.
Klausurtag
„Der beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, ist, sie zu gestalten.“ Dies sind nun unbestritten weise Worte und zwar von Willy Brandt. Es wird Euch nicht wundern, wenn ich nun an dieser Stelle schreibe, dass ein Klausurtag mit externer Betreuung am besten dazu geeignet ist, den Anstoß zur aktiven Gestaltung der Zukunft Eures Musikvereins zu geben. Es braucht einfach einen Katalysator, der die Diskussionen immer wieder zielführend in Richtung konkreter Maßnahmen leitet. Es besteht die Gefahr, dass die in Klausurtagen festgelegten Maßnahmen im Anschluss von den Beteiligten nicht in die Tat umgesetzt werden. Aber die Erstellung eines Sofort-Maßnahmen-Katalogs bietet zumindest schon einmal sehr gute Voraussetzungen dafür. Aber der Reihe nach.
In der Durchführung von Klausurtagen für Musikvereine (oder auch „Zukunftskongress Musikverein“) kann ich mittlerweile auf umfangreiche Erfahrungen zurückgreifen. Während ich über die Workshops „Zukunft der Musikvereine“ in Blasmusikverbänden regelmäßig berichte (oder berichten lasse, wie zum Beispiel hier), gibt es selbstverständlich über Klausurtage bei Musikvereinen keine Nachberichte auf meiner Seite www.kulturservice.link, schon gar nicht auf dem Blasmusikblog oder in meinen Social-Media-Kanälen.
Probleme eines Musikvereins bleiben genau da, wo sie hingehören: Innerhalb des Musikvereins. Wenn dieser vom Klausurtag in seinen Kanälen berichtet oder Externen davon erzählt, ist das schön für mich, aber deren Sache. Das, was besprochen wurde, bleibt innerhalb des Vereins. Es ist wie in der Familie: Probleme werden intern besprochen und gelöst. Selbst wenn ein externer Familientherapeut hinzu gezogen wird.
Wie Probleme und Herausforderungen in einem Musikverein angegangen werden können habe ich schon einmal im Beitrag Was tun, wenn ein Musikverein auf wenige Musiker geschrumpft ist? exemplarisch erklärt. Dieser Problemlösekreislauf, der im Beitrag erklärt wird, liegt prinzipiell meinem Konzept für die Klausurtage in Musikvereinen zu Grunde:
Um aus einem Tag so viele Ergebnisse wie möglich herauszuholen, werden die Herausforderungen zunächst themenbezogen in verschiedenen Arbeitsgruppen erörtert und notiert. Die Arbeitsgruppen werden willkürlich zusammengesetzt. Ziel ist die Kommunikation innerhalb des Vereins zu fördern. Außerdem sollen die Teilnehmer mit Themen konfrontiert werden, über die sie bis anhin noch nicht nachgedacht haben. Dies ist deshalb wichtig um allen klar zu machen, dass nur die Summe aller MusikerInnen den Verein ausmacht. Jeder ist gefragt, an der Zukunft mitzuarbeiten. Dies fördert im Allgemeinen die Bereitschaft zukünftig in Teams mitzuarbeiten.
Nach der Präsentation der Ergebnisse werden diese von allen Teilnehmern aus ihrer Sicht mit einem Punktesystem bewertet. In jedem Bereich können somit die dringendsten Probleme herausgefiltert werden.
Die vier dringendsten Probleme gehen dann wiederrum in neu zusammen gewürfelte Arbeitsgruppen, um im Gespräch Lösungsansätze zu finden. Ein Tag reicht leider nur dazu aus, zu vier Problemen Lösungsansätze zu definieren. Allerdings ist es fast egal, welche Probleme dies genau sind. Die Lösungsansätze, die dann von den Mitgliedern gefunden werden, sind meistens über dieses eine Problem hinaus sinnvoll und wirksam.
Alle gefundenen Lösungsansätze werden in der großen Runde dann wiederum besprochen und bewertet. Aus diesen resultieren dann zum Schluss der Veranstaltung die Maßnahmen, die zukünftig in die Tat umgesetzt werden sollen. Zu jeder Maßnahme wird festgelegt, wer sich verantwortlich darum kümmert und wer im Team an der Lösung mitarbeitet. Schließlich wird auch definiert, bis wann die Maßnahme umgesetzt werden soll.
So ein Klausurtag ist anstrengend und fordernd für alle Beteiligten. Manchmal auch für manche ein kleines bisschen unbefriedigend, weil ich zu viele Maßnahmen erst einmal bremse. Es können nicht alle Probleme gleichzeitig angegangen und gelöst werden. Hier dränge ich immer auf die Wichtigsten. Es bleiben immer viele Lösungsansätze und Möglichkeiten offen, die zu einem späteren Zeitpunkt umgesetzt werden können. Da ich die Klausurtage für den Musikverein anschließend im Detail dokumentiere gehen die Gedanken und Ideen auch nicht verloren. Für den Verein ist sehr viel mehr gewonnen, wenn zunächst einmal vier bis sechs Projekte konkret in Angriff genommen werden, als sich in zu vielem zu verzetteln.
Ein Phänomen entwickelt sich in jedem Klausurtag, den ich durchführe: Ab einem gewissen Punkt spürt man die große Motivation die Dinge anzugehen im Musikverein. Und, fast noch wichtiger, plötzlich melden sich Leute, in Arbeitsgruppen mitzuarbeiten, die zuvor noch nie eine außermusikalische Aufgabe hatten und schon gar nicht in der Vorstandschaft mitgearbeitet haben. Das sind für mich dann auch die wirklich großartigen Momente.
Gesprächsrunde, Fragebogenaktion, Klausurtag: was ist denn nun sinnvoll, wenn es knistert?
Nun, alles zu seiner Zeit. In der richtigen Weise durchgeführt ist alles sinnvoll. Wichtig ist, immer im gegenseitigen Gespräch zu bleiben. „Reden hilft“ – der Spruch meiner Wahl! Umfangreiche Kommunikation ist alles. Und wie immer gilt, nichts tun ist viel schlimmer als eventuell das Falsche zu tun. Der Verein, der dies beachtet, bei dem wird das Knistern erst gar nicht anfangen.
hallo Alexandra,
deine Erfahrungen sind bestimmt für viele Verantwortliche in Vereinen sehr hilfreich. Am besten sind die wertvollen Ansätze “noch nicht Verantwortliche ” zu motivieren. Das ist doch ein großes Problem in unserer Gesellschaft—Wohlstandsgesellschaft—-Schön, daß es “noch” Vereine gibt. Vielleicht sind in absehbarer Zeit solche Organisationen garnicht mehr möglich. Beispiel: wieviel Kraft muß ein Jugendleiter aufwenden, damit die Terminplanung für die Ausbildung (vor allem nach der neuen Stundenplan-Einteilung am Schuljahrbeginn!!) in Gang kommt. freundliche Grüße aus dem Hohenlohe`schen.
Hallo Hubert,
vielen Dank für Deinen Kommentar. Insbesondere Jugendarbeit in den Musikvereinen gleich allzuweilen einer Sisyphos-Arbeit. Schön wäre, wenn in jedem Verein, bei jeder Musikerin / jedem Musiker das Bewusstsein geweckt wird, dass ein erfolgreiches, erfüllendes Musizieren nur dann gelingt, wenn alle an der Zukunft des Musikvereins mitarbeiten.
Viele Grüße aus dem Markgräflerland
Alexandra
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