Auswahlkriterien für ein Blasorchesterwerk

Ein Round-Up zum Thema „Gute Blasorchesterwerke“ Teil 2

Im ersten Beitrag Qualitätsmerkmale eines guten Blasorchesterwerks beschrieben die fünf Dirigent:innen Evelyn Kessel (DE), Arno Hoffmann (DE), Thorsten Meier (DE), Sigisbert Mutschlechner (IT) und Stefan Roth (CH) die Qualitätsstandards, die sie bei originalen Blasorchesterwerken als wichtig empfinden. In diesem Beitrag geht es nun um die persönlichen Auswahlkriterien, auf Grund deren sie die Werke für ihre Konzertprogramme aussuchen.

Evelyn Kessel

Evelyn Kessel dirigiert den Musikverein Oberderdingen und den Musikverein Freundschaft Berghausen. Sie absolviert momentan den Masterstudiengang Blasorchesterdirektion bei Maurice Hamers am Konservatorium in Augsburg.

Für mich gibt es bei der Wahl eines Werkes für meine Blasorchester interne und externe Kriterien. Bei den internen Kriterien gehe ich auf die Situation meines Orchesters ein. Hier steht die Frage, ob es für mein Orchester geeignet ist, an oberster Stelle. Ist es leistungstechnisch spielbar? Können meine Musiker an diesem Stück wachsen? Ist es vielleicht ein ungewöhnliches Stück, das verschiedene Instrumentaltechniken benutzt und somit die Qualität meines Orchesters auf eine neue Stufe setzt? Natürlich überlege ich mir auch, ob mein Orchester ausreichend besetzt ist, um dieses Stück spielen zu können oder ob eventuell Aushilfen notwendig wären.

Die abschließende Frage, die ich allerdings möglichst weit hintenanstelle, ist die des Geschmacks. Gefällt mir das Werk? Könnte es meinen Musikern gefallen? Da es aber nicht möglich ist, jeden Geschmack zu treffen und es auch viele Werke gibt, die sich lohnen zu spielen, aber mir persönlich nicht zwangsläufig gefallen, lasse ich diesen Punkt größtenteils außer Acht.

Die externen Kriterien beziehen sich hauptsächlich auf die Außenwirkung des Werkes und organisatorische Thematiken. Dabei versuche ich mich in die Situation des Zuhörers zu versetzen: Erfordert das Werk viel Konzentration beim Zuhören oder bildet es eher einen Ruhepol nach einem intensiven Stück? Hat es ungewohnte Harmonien oder moderne Techniken und bedarf vielleicht einer ausführlichen Erläuterung?

Bei den organisatorischen Punkten stehen ganz simple Fragen an – wie: ob das Werk in das Konzertthema passt, falls eins vorhanden ist. Wenn es ein freies Konzept ist, versuche ich direkt mehrere Konzertteile gleichzeitig zu programmieren, um dadurch sicher zu gehen, dass die Stücke auch innerhalb eines Konzertes kombinierbar sind und nacheinander spielbar, beziehungsweise hörbar sind. Wenn ich ein Werk definitiv in das Konzertprogramm aufnehme, setze ich möglichst auch direkt fest, an welchem Punkt es gespielt werden soll (Eröffnung / vor der Pause / zweite Eröffnung nach der Pause / letztes Stück / Zugabe). Zum Schluss – und um zu der Sichtweise des Zuhörers zurückzukehren – frage ich mich auch, ob es den Zuhörer bereichert. Ist es vielleicht eine beliebte Pop-Nummer aus der Vergangenheit und lässt das Publikum in Erinnerungen schwelgen? Oder ist es eine Adaption eines berühmten Werkes aus dem klassischen sinfonischen Bereich?

Außerdem kann man mit Werken, die mit ungewohnten Klängen und modernen Techniken arbeiten, mit den vertrauten Hörgewohnheiten des Publikums brechen und somit ein Verständnis für zeitgenössische Blasmusik schaffen und aktiv mitgestalten.

Arno Hoffmann

Arno Hoffmann dirigiert die Winzerkapelle Enkirch/Mosel, das Vereinigte Blasorchester Beckingen/Saar, den Musikverein Thalfang/Hunsrück-Hochwald und das Schulorchester Gymnasium Saarburg. Außerdem steht er dem Gemeinschaftsorchester Saar-Mosel (Auswahlorchester von ihm 2012 gegründet) vor.

Erstes Kriterium ist, für welchen Anlass brauche ich das Stück. Weiteres Kriterium ist die Besetzung des Orchesters und natürlich die Spielstärke der Musiker. Bei Arrangements ist mir die Nähe zum Original wichtig. Der Anspruch in den einzelnen Registern sollte ausgewogen sein.

Thorsten Meier

Thorsten Meier dirigiert die Stadtkapelle Bräunlingen und studiert Horn an der Musikhochschule Trossingen.

Zuerst mache ich mir Gedanken, für welchen Anlass oder Zweck ich eigentlich ein Werk aussuche. Geht es um ein Jahreskonzert, für welches ich ein komplett neues Programm mit einem roten Faden zusammenstellen muss, oder geht es um einzelne neue Stücke für das Unterhaltungsprogramm?

Anhand dieser Überlegungen mache ich mich dann auf die Suche. In einem Konzertprogramm finde ich es sehr wichtig, immer mal wieder einen Klassiker wie Holst, Vaughn Williams oder Grainger einzubauen. Mit solchen Werken kann sich ein Orchester musikalisch mit am besten weiterentwickeln. Dennoch ist es in erster Linie mein Ziel, besondere, bisher eher unbekannte und in den Musikvereinen weniger verbreitete Werke zu finden und auszuwählen. Hierfür schaue ich mich gerne bei den Verlagen direkt auf deren Homepage um. Natürlich gibt es gerade im Marsch- und Polka-Bereich Stücke, welche jeder Musikverein im Repertoire haben sollte. Ab und an etwas ganz anderes zu bringen, erfreut jedoch nicht nur die Zuhörer, sondern auch die Musiker 😉

Bei der Suche versuche ich natürlich auf die ganzen Faktoren, auf die ich in der ersten Frage eingegangen bin, zu achten. Zum Schluss sollte man auch den Schwierigkeitsgrad eines Werkes im Auge behalten und dabei nicht nur auf die Angaben eines Verlages schauen. Gibt es zum Beispiel einzelne Register, die besonders gefordert sind? Ein Programm muss für das Orchester immer gut spielbar sein. Dennoch finde ich, dass in einem Konzert immer ein Stück als Herausforderung dabei sein sollte, welches eher etwas zu schwer ist.

Sigisbert Mutschlechner

Sigisbert Mutschlechner ist Lehrer für Kapellmeisterausbildung und Schlagwerk an der Musikschule Bruneck, Präsident der Stiftung Euregio Kulturzentrum Gustav Mahler Toblach und Kapellmeister der Musikkapelle Toblach.

Wenn ich ein Werk für mein Orchester aussuche, dann lege ich besonderen Wert auf folgende Fragen und Überlegungen:

Passt dieses Werk zu meinem Orchester?
Was möchte ich mit diesem Werk erreichen?
Passt dieses Werk in das Gesamtkonzept des Konzertes bzw. ist die Auswahl im Gesamten (im Zusammenhang mit den anderen Werken) stimmig?
Kann ich das Publikum mit diesem Werk erreichen, fordern, beeindrucken oder vielleicht sogar erziehen?
Ist das Werk gehaltvoll, so dass verschiedene Schwerpunkte in der Probenarbeit gesetzt werden können?
Kann ich mit diesem Werk meine Musikerinnen und Musiker fordern und fördern?
Bin ich als Dirigent gefordert wenn es um die Interpretation des Werkes geht?
Finde ich das Werk selbst spannend und emotionsreich?

In meiner über 20 Jahre langen musikalischen Erfahrung und Arbeit mit Kinder- und Jugendorchestern, Orchestern in der Mittel- und Oberstufe, in der pädagogischen Tätigkeit als Dirigierlehrer, sowie der musikalischen Leitung meines eigenen Orchesters, fällt mir immer wieder eines auf: Die Musikerinnen und Musiker erkennen recht schnell, ob ihnen ein Werk gefällt oder nicht. Fast immer war und ist es aber so, dass die Werke, welche sie in den Anfängen der Probenphase nicht so angesprochen haben, am Ende dieser und darüber hinaus, am besten gefallen haben. Dies war und ist Ansporn, nach „guter“ Blasorchesterliteratur zu suchen. Denn unser Auftrag als Dirigentinnen und Dirigenten ist unter anderem auch der, der Musikvermittlung und Musikerziehung. Dies gilt für unsere Musikerinnen und Musiker, für unser Publikum aber vor allem für uns Dirigenten selbst.

Stefan Roth

Stefan Roth ist Dirigent des Symphonischen Blasorchesters Kreuzlingen, des Blasorchesters der Jugendmusik Kreuzlingen, der Liberty Brass Band Ostschweiz, der Bürgermusik Untereggen und der Uniun da Musica Sagogn. Er ist Präsident der Musikkommission des Thurgauer Kantonalen Musikverband.

Ich bin ehrlich, für mich zählt vor allem das klangliche Erlebnis. Ich höre mir möglichst viele Werke an, die für meine Orchester in Frage kommen. Ich versuche so, mir über die Jahre eine Auswahl an möglichen Kompositionen zu machen.

Wenn es dann darum geht, ein Werk für mein Orchester auszuwählen, studiere ich die verschiedenen Partituren.

Hierbei achte ich als erstes, ob die Komposition überhaupt für mein Orchester geeignet ist. Passt unsere Besetzung zu der, die der Komponist fordert? Kann ich unsere Stärken optimal zur Geltung bringen und unsere Schwächen möglichst kaschieren? Passt die Dauer des Stücks?

Danach gehe ich die im ersten Beitrag genannten drei Qualitätsmerkmale in dieser Reihenfolge durch.

  1. Instrumentation
  2. Musikalischer Inhalt
  3. Vielschichtigkeit

Falls diese drei Punkte zu einem Grossteil erfüllt sind, nehme ich eine Komposition in unser Programm auf.

Vielen Dank an Evelyn Kessel, Arno Hoffmann, Thorsten Meier, Sigisbert Mutschlechner und Stefan Roth für ihre Mitarbeit an diesem Round-Up zum Thema „Gute Blasorchesterwerke“. Im dritten und letzten Beitrag geht es dann um ganz konkrete Empfehlungen.

Übersicht über die Reihe „Gute Blasorchesterwerke“:

Qualitätsmerkmale eines guten Blasorchesterwerks
Auswahlkriterien für ein Blasorchesterwerk
Gelungene Blasorchesterwerke: Empfehlungen!

Alexandra Link

Musik ist ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens. Musizierende Menschen zusammen zu bringen meine Leidenschaft.

    2 thoughts on “Auswahlkriterien für ein Blasorchesterwerk

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