Die Sache mit dem Übertragen von Verantwortung und dem nötigen Vertrauen

Warum Vereinsverantwortliche Schwierigkeiten haben Verantwortung und Aufgaben abzugeben und Vertrauen in die Kolleg:innen zu haben sowie die Angst vor Kontrollverlust

Als ich bei einer der letzten Zukunftswerkstätten in einem Musikverein die Grundzüge des Teambasierten Vereinsmanagements vorgestellt habe, sagte einer der Musiker: „Im Moment kann ich mir das noch sehr schlecht vorstellen, dass keiner mehr insgesamt ‚den Hut auf hat‘. Keiner den Überblick und die Kontrolle über alles, was im Musikverein geschieht, hat.“ Eine Befürchtung bzw. eine Angst, die weit verbreitet ist.

Diese Angst kommt natürlich irgendwo her. Bisher wurde die Gesamt-Verantwortung vermeintlich vom 1. Vorstand (bzw. dem Präsidenten) erwartet. So lange es Musikvereine (oder andere Vereine) gibt, haben oder hatten wir das hierarchische Vorstands-System 1. Vorstand, 2. Vorstand, Schriftführer, Kassier und viele Beisitzer (ohne zugeteiltes Aufgabengebiet). Der 1. Vorstand war (bzw. ist) für ALLES verantwortlich, der 2. Vorstand der Stellvertreter. Der 1. Vorstand versuchte mehr oder weniger alles, was im Musikverein passiert, unter Kontrolle zu haben: „Wenn ich schon die Verantwortung habe, muss ich auch die Kontrolle und Entscheidungsgewalt über alles, was im Musikverein passiert, behalten“, habe ich einmal von einem ersten Vorsitzenden gehört.

Mit „Angst vor Kontrollverlust“ haben die meisten Skeptiker des Teambasierten Vereinsmanagements zu kämpfen. „Es muss doch einer den Überblick über alles behalten…“. Aber warum eigentlich? Beim Modell des Teambasierten Vereinsmanagements gibt es (im Idealfall) sechs Personen, die für ihren jeweiligen Bereich die Verantwortung und damit einhergehend natürlich auch ein Stück Kontrolle haben über das, was in ihrem Bereich geschieht, welche Aufgaben wie erledigt werden. Die Verantwortung wird geteilt und nicht nur auf eine einzige Person im Verein projiziert – egal, ob auf Grund der Begrifflichkeit „1. Vorstand“ an sich oder tatsächlich, weil diese Person es so sieht und den Verein patriarchalisch/matriarchalisch führt. Die Aufgaben werden im Teambasierten Vereinsmanagement auf die Bereiche aufgeteilt und in diesen selbstorganisiert erledigt. Es hat doch nur Vorteile, wenn sowohl die Verantwortung geteilt als auch die Aufgaben auf viele Schultern verteilt werden.

Immer wieder höre ich von fehlendem Vertrauen, das die Vorsitzenden in andere Vereinsmitglieder haben. Sind die Kolleg:innen wirklich so unzuverlässig, dass man ihnen das selbstständige Erledigen von Aufgaben nicht zutrauen kann? Warum haben manche Vereinsverantwortlichen kein Vertrauen in die Musiker:innen in ihrem Verein? Warum ist der Satz „Ich mache es lieber selbst, dann weiß ich, dass es erledigt ist?“ bei vielen Vereinsverantwortlichen gang und gäbe? Welche Erfahrungen haben diese Vereinsvorstände gemacht, dass ihnen jegliches Vertrauen bei der Übertragung von Aufgaben und Verantwortung fehlt?

Oder geht es hier um etwas ganz anderes? Prestige und eine Art „Machtgefühl“ vielleicht?

Aufgaben und Verantwortung abzugeben ist im Teambasierten Vereinsmanagement das höchste Gebot. Damit einhergehend: Vertrauen haben. Vertrauen in andere Menschen zu haben ist eine Einstellungs-Sache und eine Grundhaltung. Das Gegenüber merkt, ob ihm jemand vertrauensvoll oder misstrauisch gegenübertritt. Wer erledigt schon gerne eine Aufgabe, wenn er genau merkt, dass sie ihm überhaupt nicht zugetraut wird. Akzeptieren, dass jemand eine Aufgabe anders erledigt als man selbst, ist auch so etwas, was vielen Menschen unheimlich schwerfällt. Manchmal könnte man dabei meinen, es geht um Leben und Tod. Dabei wird so viel mehr Kreativität freigesetzt, wenn man die Leute einfach mal machen lässt, ohne dahinter mit dem Zeigefinger oder einem skeptischen Blick zu stehen.

Es wird Zeit für ein konkretes Beispiel.

Es war in einem meiner Online-Seminare zum Thema Teambasiertes Vereinsmanagement. Ein Vereinsvorsitzender war der Meinung, man könne das Thema „Social Media“ doch nicht einem kleinen Team von zwei, drei jungen Leuten überlassen, ohne Kontrolle, was die nun posten… Was da – aus rechtlicher Sicht – alles passieren könne und schließlich würde ja er – notfalls mit dem Privatvermögen – dafür „haften“… (auf das Thema Haftung möchte ich hier nicht weiter Bezug nehmen. Nur so viel: es ist so viel Halbwissen im Umlauf…).

Traut dieser Vereinsvorsitzende seinen jungen Musikkolleg:innen zu, dass sie pornografisches Material oder Hass und Hetze in Facebook oder Instagram verbreiten? Traut er den motivierten Kolleg:innen nicht zu, dass sie sich über Urheberrecht, Recht am eigenen Bild und ähnlichen Regeln informieren und sich schlau machen, was geht und was ein No Go im Netz ist? Viele Regeln und Gesetze, was im Internet gilt und was verboten ist, lernen die Kids heutzutage schon in der Schule und sind somit unter Umständen besser informiert als mancher Erwachsener. Außerdem werden Online- und Offline-Seminare zum Thema Social Media angeboten, zu denen die angehenden Social-Media-Manager des Musikvereins ja mal geschickt werden können.

Mit Misstrauen und ständiger Kontrolle wird Kreativität und Motivation getötet. Drastisch ausgedrückt, aber darauf kommt’s raus. Die jungen Kreativen sind dann so lange motiviert, bis sie zu viel davon haben und entnervt aufhören.

Ähnliche Beispiele könnte ich von Jugendverantwortlichen in Musikvereinen erzählen…

Wie wäre es mit mehr Mut? Mit: Einfach mal machen (lassen)! Es könnte ja gut werden… „Und wenn Fehler passieren?“, fragt der kleine Kritiker im Gehirn. Was ist ein Fehler? Wenn sich der Kassierer in der Buchhaltung verrechnet? Wenn der Einkäufer zu viele Gurken und zu wenig Schinken für die Schinkenweckle bestellt? Wenn sich beim Musik-Aktions-Tag nur zwei Kinder für das Erlernen eines Instruments anmelden, ist dann der ganze Musik-Aktions-Tag ‚für die Katz‘ gewesen? Im Grunde sind das doch alles Erfahrungen, die leicht beim nächsten Mal verändert werden können. Wir können jeder Person eine kritische Grundhaltung zutrauen. Mit einer gesunden, regelmäßigen Selbstreflektion im Musikverein lässt sich alles immer wieder in die Bahn in Richtung Erfolg bringen. Ein bisschen mehr Lockerheit, mehr Mut zu Neuem und Vertrauen in die Musikkolleg:innen kann uns in den Musikvereinen nur gut tun.

Alexandra Link

Musik ist ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens. Musizierende Menschen zusammen zu bringen meine Leidenschaft.

    2 thoughts on “Die Sache mit dem Übertragen von Verantwortung und dem nötigen Vertrauen

    • Pingback: Blasmusikblog Monatsrückblick Mai 2022 – Blasmusik

    • 28. Dezember 2022 at 13:01
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      Ja, völlig richtig, Vertrauen ist nicht
      nur für vereinsmanagement und vereinsentwicklung die Basis für eine fruchtbare Arbeit.
      Wie ist das mit dem Vertrauen seitens der vereinsführung den Lehrkräften im Verein?
      Kontrolle?
      Wohl für ewig eine Illusion!
      Werden in präsidien/vorstandschaften all zu oft Entscheidungen getroffen, die auf den musikertisch gehörten?
      Leider sehr oft erlebt, dass aus Unkenntnis, Arroganz, Fehleinschätzung… Dinge entschieden werden, die Konsequenzen haben, gerade in derartig komplexen Systemen, in den so viel “zwischen den Zeilen” geschieht!
      Kritische Punkte, jenseits derer Systeme anfangen zu leiden oder der Samen zum zerbrechen in die Erde fällt, Teufelskreis, die so in Bewegung gesetzt werden können.
      So werden offensichtliche Fakten im Vergleich zur Energie, die sie zusammenhalten und somit sinnvoll machen können, völlig überschätzt.
      So machst du ein Viertel Jahrhundert mit einem richtig guten lehrerteam als musikalischer Leiter erfolgreiche Arbeit, baust eine Ausbildungsstruktur vom Kleinkind bis zur 100minus-bläserklasse mit seniorenorchester auf und erntet nur ungläubige Blicke und Zweifel, die nicht einmal, dann zerstreut werden können, wenn der Erfolg in den kassenbüchern stehen.
      Anstatt das einfach vertrauensvoll weiter führen zu lassen, schafft man auch noch Hindernisse.
      Freier Mitarbeiter auf honorarbasis wird dann zur fars, denn keiner von diesen einzelnen Begriffen beinhaltet das, was sein könnte und zwingend muss.
      Ja, Vertrauen ist die Basis, Anerkennung und Respekt machen den Weg frei, wenn jeder das tut, was sie/er kann.
      Vg Norbert Engelmann

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